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Archiv-Artikel

Der Wackelkandidat

Noch jubelt die PDS über das Jawort ihres Spitzenkandidaten. Doch die Hauptstadtsozialisten wissen ganz genau: Auf Gregor Gysi ist kein Verlass

VON FELIX LEE

Wieder einmal steht das PDS-Zugpferd Gregor Gysi vor einem politischen Comeback. Gestern Nachmittag gab der frühere Partei- und Fraktionschef der PDS, der bis 2002 für ein Jahr auch einmal Berliner Wirtschafts- und Frauensenator war, seine Spitzenkandidatur für den Bundestagswahlkampf 2005 bekannt. Trotz seiner Kämpfernatur steht der PDS-Superstar jedoch auf wackligen Beinen. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht.

Wackelzustand 1: Sein Wahlkreis

Die Spitze der Hauptstadtsozialisten jubelt. „Mit Gysis Kandidatur im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick steigen die Chancen auf ein drittes Direktmandat im Bundestag“, freut sich der PDS-Landesvorsitzende Stefan Liebich. Das stimmt. Aber dafür müssen erst einmal die anderen beiden Wahlkreise gewonnen werden. Und die sind keineswegs mehr so sicher in PDS-Hand, wie sie es seit der Wendezeit bei Bundestagswahlen tatsächlich immer waren. Bereits bei den Wahlen 2002 mussten die beiden PDS-Kandidatinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch in den beiden Hochburgen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg im Vergleich zu den vorigen Wahlen bei den Erststimmen zwei bis drei empfindliche Prozentpunkte einbüßen. Bei den Zweitstimmen lag die SPD in Marzahn-Hellersdorf sogar weit vor der PDS. Als wesentlicher Grund für den PDS-Verlust wurde damals die Sparpolitik des rot-roten Senats genannt. Die Kritik ist seitdem alles andere als verstummt. Zudem will Gysi in Treptow-Köpenick kandidieren, dem Wahlkreis, den bislang immer Siegfried Scheffler (SPD) gewann. Zwar weist auch Berlins Südosten wie alle Ostbezirke der Stadt einen hohen PDS-Anteil auf, und Gregor Gysi wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass er selbst 20 Jahre dort gelebt habe. Das einst tiefrote Milieu ist aber gerade im zunehmend bürgerlichen Teilbezirk Köpenick in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft, während in Treptow die inzwischen alternden PDS-WählerInnen wegsterben oder auch einfach weggezogen sind.

Wackelzustand 2: Sein Engagement

Gregor Gysi ist ein Freigeist und wird immer einer bleiben. Auch seiner Partei gegenüber. Dementsprechend sind nicht alle GenossInnen uneingeschränkt glücklich über seine Kandidatur. Die Enttäuschung über seinen plötzlichen Rücktritt als Berliner Senator nach der Bonusmeilenaffäre, die bei anderen PolitikerInnen mit vergleichbaren Vorwürfen gerade mal ein Achselzucken ausgelöst haben, sitzt tief. Zumal der Rücktritt acht Wochen vor den damaligen Bundestagswahlen stattfand, was die PDS in ihre bis dahin größte Krise stürzte. „So wie viele halte ich nach wie vor seinen damaligen Rücktritt für eine falsche Entscheidung“, gesteht der PDS-Abgeordnete Steffen Zillich. „Aber man muss ja nicht nachtragend sein.“ Dennoch: Gründe, Gysi zu misstrauen, bleiben. Bei seiner Kandidatur für den Bundestag kündigte er zugleich an, dass seine Arbeit als Anwalt und Publizist trotz Wahlkampf in den nächsten Monaten weiter Vorrang haben werde. Selbst im Falle seines Einzugs in den Bundestag wolle er seine anwaltliche Tätigkeit fortführen. „Es ist und bleibt mir wichtig, meine Art beruflicher Unabhängigkeit zu bewahren“, sagte Gysi. Ein Feierabendpolitiker also, der seinen GenossInnen zugleich verdeutlicht, dass er dann doch nicht der Parteisoldat ist, wie es so manch ein Genosse gern hätte.

Wackelzustand 3: Seine Gesundheit

Zwei Herzinfarkte und eine schwere Gehirnoperation im November 2004 haben ihn gesundheitlich stark lädiert. Von „Ausbeutungsstress“ sprach er, den er nicht noch einmal über sich ergehen lassen will, und von „gebremstem Engagement für den Wahlkampf“. Zwar könne er nach Absprache mit seinen Ärzten seine Entscheidung gesundheitlich vertreten, aber dem Stress früherer Jahre möchte er sich keinesfalls unterziehen. „Ich darf und ich werde mich nicht überfordern und meine Familie keinen Tag vergessen“, kündigte Gysi an. Zumindest in diesem Punkt wird ihm das sicherlich niemand wirklich verübeln.