Eine Schale Blut

DRACULAS ERFINDER Vor einhundert Jahren starb der irische Schriftsteller Bram Stoker

Dracula, der finstere Graf aus Transsilvanien, war in Wirklichkeit Ire. Sein Erfinder, der Dubliner Schriftsteller Bram Stoker, der heute vor hundert Jahren gestorben ist, bezog seine Inspiration aus der irischen Geschichte und Mythologie. Die Kelten feierten am 31. Oktober das „Fáilte na Marhh“, das Fest zur Rückkehr der Toten aus der Anderswelt. Vor allem aus dem Südwesten Irlands, der Grafschaft Kerry, sind viele Vampirgeschichten überliefert. Die Blutsauger sollen auf der „Burg des blutigen Gesichts“ gelebt haben. Auf Irisch heißt sie „Dún Dreach-Fhoula“, was „Drak-óla“ ausgesprochen wird.

Besonders bekannt ist die Geschichte von Abhartach, dem grausamen Führer eines Clans, aus dem fünften Jahrhundert. Seine Untertanen überredeten den Führer eines anderen Clans, Cathán, Abhartach zu töten. Das tat er auch, doch der Getötete kehrte immer wieder aus dem Grab zurück und verlangte nach einer Schale Blut. Erst als Cathán ein Holzschwert benutzte, den Leichnam kopfüber inmitten von Dornenzweigen beerdigte und das Grab mit einer Steinplatte sicherte, herrschte Ruhe.

Abhartachs Grab gibt bis heute Rätsel auf. Als der Bauer, dem das Land gehört, es 1997 einebnen und den Dornenbusch beseitigen lassen wollte, versagten zwei nagelneue Kettensägen. Der Traktor, der die Steinplatte heben sollte, setzte sich von alleine in Bewegung und überrollte eine weitere Kettensäge. Die Arbeiter flohen, und seitdem hat sich niemand an das Grab herangewagt.

Stoker, der nie in Osteuropa war, kannte die Geschichten von seiner Mutter Charlotte Thornley. Er wurde am 8. November 1847 im Norden der irischen Hauptstadt geboren. Bis zu seiner Einschulung mit sieben Jahren war er ein kränkliches Kind, erholte sich dann aber. Später studierte er Mathematik am Dubliner Trinity College und bestand sein Examen 1870 mit Auszeichnung. Stoker arbeitete danach als Theaterkritiker für die Dublin Evening Mail, die Joseph Sheridan Le Fanu gehörte, dem Autor von Horrorgeschichten (in „Carmilla“ erfand er 1872 einen weiblichen Vampir).

Weil Stoker einen überaus freundlichen Artikel über Henry Irvings „Hamlet“-Aufführung geschrieben hatte, lud der ihn zum Essen ein. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die dazu führte, dass Irving – einer der bekanntesten Schauspieler jener Zeit – ihn als Geschäftsführer seines Lyceum-Theaters nach London holte. Diesen Posten behielt Stoker 27 Jahre lang. Nebenbei schrieb er seinen Roman „Dracula“, der zunächst „Die Untoten“ heißen sollte, 1997 erschien und heute eins der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten ist. Durch Irving lernte Stoker nicht nur Schriftsteller wie Walt Whitman und Arthur Conan Doyle kennen, sondern auch die US-Präsidenten William McKinley und Theodore Roosevelt.

Stoker heiratete 1878 Florence Balcombe, eine bekannte Dubliner Schönheit, die zunächst von Stokers Freund Oscar Wilde umworben worden war. Stoker und Balcombe bekamen 1879 einen Sohn, den sie Irving Noel Thornley Stoker tauften. Bram Stoker starb am 20. April 1912 in London, er wurde 64 Jahre alt. Seine Urne wird im Krematorium Golders Green in London aus Angst vor Vandalismus hinter verschlossenen Türen aufbewahrt.

RALF SOTSCHECK