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Archiv-Artikel

Doppel-Nein lässt andere Staaten wackeln

In Polen und Großbritannien stehen Abstimmungen zur EU-Verfassung in Frage. In Dänemark kippt die Stimmung

Irlands Außenminister: erdbebenartige Vorgänge. Tschechiens Präsident: Die Verfassung ist tot

Polen: Die Polen sind sich nach dem Nein der Franzosen und Niederländer zur Europäischen Verfassung nicht mehr sicher, ob eine Volksbefragung in ihrem Land überhaupt noch Sinn macht. Die konservative Opposition, die Umfragen zufolge die Parlamentswahlen im Herbst haushoch gewinnen wird, ist ohnehin dagegen. Nach dem Nein der Niederländer reiben sich die Verfassungsgegner nun die Hände. Der Nizza-Vertrag, der bei einem Scheitern der EU-Verfassung die Rechtsgrundlage für die nächsten Jahre bleiben würde, sichert den Polen ein fast gleiches Stimmrecht wie den viel größeren Ländern Frankreich und Deutschland. Polens Linke und einige Liberale, die sehen, dass das Scheitern der Verfassung es den bald 27 Mitgliedern fast unmöglich machen wird, noch Entscheidungen zu fällen, versuchen zu retten, was zu retten ist. Sie plädieren für die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses. Doch ob es in Polen zu einem Referendum kommen wird, soll der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, erst am 17. Juni entscheiden. Entscheidet der Sejm dann, dass die Polen über die Verfassung abstimmen dürfen, legen Präsident und Senat, die zweite Kammer des Parlaments, den Termin für die Volksbefragung fest. In Polen sind die Politiker mehrheitlich gegen die EU-Verfassung, die Bürger aber dafür – genau umgekehrt wie in Frankreich und den Niederlanden, wo die Politiker für die Verfassung und die Bürger dagegen sind.

Irland: Die irische Regierung zögert erstmals, ein Referendum abzuhalten. Man werde den EU-Gipfel am 15. und 16. Juni abwarten und dann entscheiden, sagte Außenminister Dermot Ahern der Irish Times. Die Vorgänge seien „erdbebenartig“. Dublin relativierte damit erstmals seine bisherige klare Position für eine Volksabstimmung. Ein Datum für das Referendum stand bislang nicht fest. Die Iren hatten als einziges EU-Land dem Vertrag von Nizza erst im zweiten Anlauf zugestimmt.

Großbritannien: Eigentlich hat Tony Blair den Briten versprochen, dass sie 2006 über die EU-Verfassung abstimmen dürfen. Nun wird heftig diskutiert, ob das überhaupt noch Sinn macht. Am Montag tritt Außenminister Jack Straw vors Unterhaus. Es wird erwartet, dass er ankündigt, das geplante Referendum auf unbestimmte Zeit aufzuschieben. Laut Umfragen ist die Mehrheit der Briten gegen die Verfassung.

Dänemark: Die dänische Regierung hält an der Volksabstimmung im eigenen Land fest. Sie ist für den 27. September angesetzt. Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen sagte aber, die Lage sei „sehr ernst“. Nach einer Meinungsumfrage stieg die Zahl der dänischen Verfassungsgegner nach dem Nein der Franzosen auf 39 Prozent – das ist erstmals eine Mehrheit. Ein Drittel der Dänen sagt Ja, ein Drittel ist unentschieden. 1992 hatten die Dänen den Maastricht-Vertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion abgelehnt, 2000 wollten sie den Euro nicht haben.

Tschechien: Die Regierung in Prag will den tschechischen Ratifizierungsprozess fortsetzen. „Keine Franzosen oder Niederländer können für uns entscheiden“, sagte Ministerpräsident Jiří Paroubek. In Tschechien wird vermutlich im Juni 2006 ebenfalls ein Referendum über das Dokument entscheiden. Dagegen bezeichnete Präsident Václav Klaus die EU-Verfassung als „tot“. „Wer geglaubt hat, das französische Nein sei Zufall gewesen, wurde am Mittwochabend eines Besseren belehrt“, sagte das Staatsoberhaupt. GL, LÖW, RTR, DPA