Köhler rügt Politiker

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Bundespräsident Horst Köhler hat der Politik vorgeworfen, die Idee der europäischen Einigung zu gefährden. Köhler sagte gestern in Berlin vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, er frage sich immer wieder: „Was soll diese ganze Suche nach Formelkompromissen, nach ständigen Konferenzen, und nichts kommt beim Bürger an und der Bürger identifiziert sich nicht.“ Eine „europapolitische Inventur“ sei fällig.

Regierungssprecher Bela Anda mühte sich gestern, die Krise der EU-Verfassung nach der Ablehnung durch Franzosen und Niederländer nicht zur Krise Europas zu erklären. „Es ist wichtig, dass jetzt keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden und dass die Ratifizierung fortgesetzt wird.“

Andas Chef, Kanzler Gerhard Schröder, versuchte derweil, europäische Handlungsfähigkeit zu beweisen. Anlässlich des Berlinbesuchs des rumänischen Regierungschefs Calin Popescu-Tarinceanu sagte Schröder, wenn Rumänien und Bulgarien die EU-Bedingungen erfüllten, könnten sie selbstverständlich zum 1. Januar 2007 Mitglied werden. Die EU müsse ihren Verpflichtungen gegenüber Rumänien und Bulgarien „auf Punkt und Komma“ nachkommen. Es gebe keinen Grund, vom Erweiterungskurs abzurücken.

Gestern wurde außerdem verbreitet, dass Deutschland sich doch mit mehr als einem Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung am EU-Haushalt beteiligen wolle. Damit steigen die Chancen, dass sich die Staats- und Regierungschef auf dem EU-Gipfel am 16. und 17. Juni in Brüssel auf einen Vorschlag des EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker einigen: Ein Beitrag von 1,056 Prozent, der für Deutschland etwa zehn Milliarden Euro Mehrausgaben bis 2013 bedeuten soll. Anda sagte: „Deutschland ist bereit, sich im Rahmen seiner materiellen Möglichkeiten zu bewegen.“ Er deutete jedoch an, dass sich auch an den Rabattregelungen für Großbritannien etwas ändern müsse. Er dementierte nicht, dass ein Rabatt für Deutschland im Gespräch sei.

Bis zum Brüsseler Gipfel wird Schröder sich in Einzelgesprächen mit verschiedenen europäischen Chefs treffen. Heute Abend kommt Frankreichs Präsident Jacques Chirac nach Berlin. Am 10. Juni gibt es ein weiteres deutsch-französisches Spitzentreffen, am 13. Juni trifft der Kanzler den britischen Premier Tony Blair.

Anda bestätigte gestern, dass ein Versuch Schröders, die sechs EU-Gründungsnationen zusammenzurufen, gescheitert sei: Der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende habe gesagt, er sei nach dem „Nee“ der Niederländer zu Hause unabkömmlich. Dies „muss man verstehen“, sagte Anda.