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Archiv-Artikel

Sind Doppelspitzen stumpf?

Macht Linke, Grüne und die Deutsche Bank splitten ihre Führungspositionen. Manche sehen in diesem Modell einen faulen Kompromiss

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JA

Wolfgang Grupp, 70, ist seit 43 Jahren Einzelspitze des Textilher-stellers Trigema

Die wichtigste Frage ist nicht Doppelspitze oder Einzelspitze, sondern ob die Entscheidungsträger auch für ihre Entscheidungen haften und die Verantwortung übernehmen! Eine Einzelspitze ist meiner Meinung nach generell effektiver, aber ohne Verantwortung und Haftung riskanter, deshalb werden immer mehr Doppelspitzen eingerichtet. Wenn ich als alleiniger Geschäftsführer und Inhaber die falsche Entscheidung treffe, stehe ich als Erster auf dem Schafott. Ich hafte mit meinem gesamten Privatvermögen für alle meine Entscheidungen. Alleinentscheider zu sein heißt jedoch nicht, dass ich den Weg zur Entscheidung allein gehe. Eine Führungspersönlichkeit wird nie alles entscheiden können. Sie wird immer Fachleute zu Rate ziehen. Meine Fachleute sind meine Mitarbeiter. Sie bringen sich mit eigenen Ideen ein, unterstützen meine Vorschläge oder bringen Einwände gegen meine Ideen. Ich habe das ganze Unternehmen im Blick und liefere Argumente für oder gegen interne Vorschläge. Können die Mitarbeiter meine Gegenargumente nicht ausräumen, bedeutet das: realistisch nicht machbar. Damit sind meine Mitarbeiter sozusagen meine zweite Spitze. Am Ende muss ich die Konsequenzen für das Unternehmen abwägen und mich fragen: Die Idee ist gut, aber kann ich das Risiko tragen? Am Schluss muss ich dafür geradestehen – und für Fehlentscheidungen bezahlen. Da ich allein entscheiden kann, bin ich natürlich schneller und flexibler, als wenn ich noch einen anderen fragen müsste. Meistens braucht man nur dann zwei Entscheidungsträger, wenn keiner von beiden die Verantwortung tragen will!

Astrid Schreyögg, 65, berät als Coach Führungskräfte auch im Doppelpack

Doppelspitzen stellen hohe Ansprüche an die Kommunikationsfähigkeit der Partner. Sie funktionieren nur, wenn sie sich auf der Basis von Unterschiedlichkeit ergänzen und jeder die fachlichen und persönlichen Besonderheiten des anderen zu würdigen weiß. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass sie sich nicht durch zu große persönliche Nähe verstricken dürfen, was die positive Entwicklung der Doppelspitze bei Miele zeigt. Respektvolle Distanz bei ausgeprägter Konzentration auf das gemeinsame Ziel stellt das Erfolgsrezept dar. Besondere Bedeutung hat aber die konsensorientierte Kommunikation der Doppelspitze gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Klienten. Allzu oft geht nämlich ein Doppelspitzenpartner eine offene oder heimliche Koalition mit einem Dritten gegen den anderen ein, dann wird die Doppelspitze immer brüchig. Das ist letztlich eine Konstellation wie in zerbrochenen Familien, wo ein Elternteil mit einem der Kinder eine Koalition gegen den anderen Elternteil schmiedet.

Wolfgang Gerke, 68, ist seit 2006 Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums

Parteien legen sich zur Konfliktlösung und Erhaltung der Meinungsvielfalt Doppelspitzen zu. Jetzt splittet auch die Deutsche Bank die Regentschaft. Damit ist in der Bank aber keine Politik der Parteienvielfalt ausgebrochen. Im Gegenteil! Dem Investmentbanking unbequeme Mahner, wie die Vorstände Bänziger und Lamberti, werden entsorgt. Dem Chefvolkswirt Mayer wird als letztem freien Denker die Meinungsfreiheit entzogen. Seine ungebundene Abteilung DB Research wird der dem Vertrieb verpflichteten Abteilung Market Research angegliedert. In der Doppelspitze der Deutschen Bank trägt anders als bei der Linken und den Grünen jeder nur die halbe Verantwortung. So kann der Stärkere die Interessen seines Bereiches durchboxen, und das ist Anshu Jain mit seinem Investmentbanking. Selbst der Investmentbanker Ackermann konnte als Einzelspitze aufgrund seiner Gesamtverantwortung die Interessen der Investmentbanker nicht so ungebremst durchsetzen wie Jain in der Doppelspitze.

NEIN

Bodo Ramelow, 56, ist Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag

Ich bin engagierter Vertreter einer Doppelspitze, die mit beiden Geschlechtern besetzt ist. Frauen und Männer müssen gleichberechtigt innerhalb ihrer Organisationen, Parteien und Vereinigungen wirken. Ebenso wichtig ist die Außenwirkung. Gleichberechtigung muss gesellschaftlich sichtbar werden. Eine gesetzliche Quotenregelung würde Frauen die gleichen Rechte und Männern die gleichen Pflichten einräumen und damit das weibliche Element in unserer Gesellschaft stärken. Das Geheimnis einer funktionierenden Doppelspitze ist eine klare Aufgabenverteilung nach innen und eine klare Rollenverteilung nach außen. Wichtig ist, dass einer der beiden Protagonisten nicht nur Aushängeschild ist. Die Doppelspitze wird nicht im Doppelpack gewählt – sie besteht aus zwei Einzelpersonen, die gemeinsam unterschiedliche Akzente in eine Organisation hineintragen. Jeder der beiden Führungskräfte muss ein eigenständiges Profil vertreten, sich verantworten und sich an seinen Ergebnissen messen lassen. Wird allerdings eine Person untergebuttert oder lässt sich unterbuttern, hat sich die Doppelspitze erledigt.

Monika Lazar, 44, ist in der grünen Bundestagsfraktion Sprecherin für Frauenpolitik

Im Gegenteil – Doppelspitzen sind scharf. Die Grünen haben seit ihrer Gründung Erfahrungen mit Doppelspitzen gemacht. Wir kennen die Diskussionen also schon sehr lange. Dabei haben wir gelernt: Doppelspitzen sind gut und effektiv, weil sie Sichtweisen, Erfahrungen und Kenntnisse doppeln. Sie ermöglichen auch mal eine Arbeitsauszeit, sei es für Urlaub, sei es bei Krankheit. Sie befreien die Frauen aus dem ewigen Stellvertreterinnenstatus, den sie bei anderen Organisationen einnehmen. Ist sich die Doppelspitze einig, kann sie Entscheidungen auch bei der Zugehörigkeit zu verschiedenen (parteipolitischen) Flügeln gut kommunizieren. Und nicht zuletzt haben wir auch sehr gute Erfahrungen mit weiblichen Doppelspitzen gemacht – ein Modell, das wir anderen Parteien, Organisationen oder Unternehmen nur empfehlen können. Daher bin ich für die Quote und für die Doppelspitze.

Regina Ziegler, 68, ist Honorarprofessorin und Filmproduzentin

Doppelspitze? Ein Widerspruch. Ist das Leben nicht wie ein Schiff, auf dem einer alles regelt? Haben nicht die großen gotischen Dome nur eine Spitze? Nein, Köln hat zwei. Und es sieht gut aus, das Kölner Modell. Wenn Platz für zwei ist, dann her damit. Manchmal sind zwei Spitzen unmöglich. Aus Geldgründen, aus Zeitgründen. Aber mit zwei Kapitänen wäre die Titanic womöglich nicht gesunken. Wenn zwei Spitzen verschieden, aber gut sind, umso besser. Was ist schlimm daran, sich zu einigen? Ich einige mich im Business seit dreizehn Jahren mit meiner Tochter und zu Hause seit vierzig Jahren mit meinem Mann. Und was erlebe ich da? Eins und eins ist meist drei. Es gibt nur noch eine Steigerung: die himmlische Trinität.

Sybille Guler, 32, hat die Streit- frage auf der taz-Facebook-Seite kommentiert

Doppelspitzen sind nicht stumpf, sondern spitze Ergänzungen. Besonders wenn sie zweigeschlechtlich besetzt sind. Zwei Köpfe regen sich gegenseitig an, sehen und bewerten Sachlagen auf mehreren Ebenen. Wichtig sind ehrlicher Umgang und offene Kommunikation. Geltungssucht und Machtkämpfe führen zwangsläufig zum Scheitern. „Mehrere Köche verderben den Brei“ gilt für Sorgfältigkeitsarbeiten wie Buchhaltung oder Tabellen. Ansonsten gilt: Je mehr Köpfe mitdenken, desto mehr kommt heraus.