Versuchte Rettung des liberalen Traums

FDP Auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe hofften die Mitglieder auf ein Signal zum Aufbruch. Und wurden Zeugen eines Desasters

AUS KARLSRUHE ANJA MAIER

Zum Beispiel Albert Ritter. Der 58-Jährige ist aus Essen nach Karlsruhe zum FDP-Parteitag gekommen. 350 Kilometer, den ganzen Tag in eine lichtlosen Messehalle eingesperrt. Warum? Weil Albert Ritter Präsident des Deutschen Schausteller-Bundes ist, also so was wie der Oberchef der Riesenrad-Unternehmer. Und weil Politik nun mal jeden Tag wirkt und die 4.000 Betriebe, die er vertritt, nicht länger warten wollen, dass die Politik sich ihrer Probleme annimmt. Deshalb ist Albert Ritter nach Karlsruhe gekommen. Kontakte eines Verbandes von Gewerbetreibenden zur Regierungspartei können da nicht schaden. Noch ist die FDP an der Macht.

Hilfe bei Abzocke

Ritter erzählt, wie der Paragraf 12 des Gaststättengesetzes seine Leute ärgert. Die dort geregelte Reisegewerbekarte gilt nur in manchen Bundesländern: Der Schausteller zahlt einmal und kann seine Bude aufbauen, wo er möchte. In anderen Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein müssen die Kirmesleute, die Mandelbrenner und Bratwurstverkäufer in jeder Gemeinde eine „vorübergehende Gestattung nach Gaststättengesetz“ einzeln beantragen. Und zahlen. Abzocke, klar. Jemand müsste diese Länder zwingen, das Bundesrecht anzuwenden. Für dieses Problem der Schausteller ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Dessen Chef ist FDP-Vorsitzender und heißt Philipp Rösler.

Rösler hat an diesem Wochenende ganz offenbar andere Sorgen. Zwar halten sich die 660 Delegierten in der Karlsruher Messe an die vor dem Parteitag ausgegebene Losung der Geschlossenheit. Aber ansonsten war seine Rede alles andere als ein Zeichen des Aufbruchs. Eher ein inhaltliches und rhetorisches Desaster. Statt der interessierten Öffentlichkeit darzulegen, wie er sich als Vizekanzler die liberale Tagespolitik in der verbleibenden schwarz-gelben Koalitionszeit vorstellt, orgelte er sein programmatisches Wachstumsmantra herunter. Und statt zu erklären, wie er es in den nächsten Wochen und Monaten hinbekommen will, dass die Wähler doch noch einmal ihr Kreuzchen bei der FDP machen, maulte er gegen die politischen Mitbewerber.

Deutlich kraftvoller waren die Reden der Landtagswahl-Spitzenkandidaten aus Kiel und Düsseldorf. Der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki hatte zwar Kreide gefressen und stolz verkündet, dass Parteichef Rösler und er seit heute per Du seien. Das war’s dann aber auch an Freundlichkeiten. Kubicki ging zu Kritik und Selbstkritik über, das Mitglied des Bundesvorstandes bilanzierte: „Seit 2009 haben uns zwei Drittel unserer Wähler den Rücken zugewandt. Verantwortlich sind wir und nicht sie.“

Christian Lindner beklagte in seiner fünfzehnminütigen, markigen Rede den Vertrauensverlust, den die einstige 15-Prozent-Partei erlitten hat. „Die Bürger nehmen uns unsere Erfolgsbilanzen nicht recht ab“, sagte er in Richtung Koalition, „wir haben manche enttäuscht.“ Auch er kritisierte die Parteiführung, der er ja als Generalsekretär bis Dezember 2011 selbst angehört hatte. „Ich wünsche mir, dass die FDP schon im Stil einen Unterschied zu anderen Parteien macht.“

Tatsächlich hat die FDP in den letzten Wochen mit rhetorischen Ausfällen von sich reden gemacht. Mal klagte Kubicki, in Berlin habe man es geschafft, die Partei als „kaltherzig“ dastehen zu lassen. Mal plauderte der Chef der Jungen Liberalen (JuLis), Lasse Becker, es sei ja wohl bekannt, dass sich manche in der FDP-Führung gegenseitig „doof“ finden. Und dann empfahl Philipp Rösler auch noch im Duktus eines Apparatschiks, die entlassenen Schlecker-Mitarbeiterinnen sollten sich doch nach einer „Anschlussverwendung“ umschauen.

Maulen statt streicheln

Rösler hat nun in Karlsruhe die Gelegenheit verstreichen lassen, das Ruder, wenn schon nicht in den knappen Umfragen für Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, so doch wenigstens innerparteilich rumzureißen. Er hatte die Chance, die Mitglieder zu streicheln, ihnen Mut zu machen. Ohne sie ist eine Partei ein Nichts. Stattdessen hat er mit seiner Rede klargemacht, dass er sicher nicht jene Person ist, die die Freien Demokraten aus ihrer Krise führen kann. Der politische Liberalismus hat sich von den tagespolitischen Realitäten entfernt, daran ändert auch das in Karlsruhe beschlossene Grundsatzprogramm „Karlsruher Freiheitsthesen“ nichts, dessen Thesen jeder Demokrat guten Gewissens unterschreiben könnte. Immer nur sagen, dass die FDP „ein ganz besonderes Angebot“ macht, reicht wohl nicht. Ergebnisse sind die Währung der Politik.

Albert Ritter wartet auf solche Ergebnisse. „Wir wünschen uns, dass die FDP vernünftige Rahmenbedingungen schafft“, sagt der Kirmeskönig. 45.000 Arbeitsplätze schaffen seine Mitgliedsbetriebe, zwei Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften die Schausteller jedes Jahr, erzählt er selbstbewusst. „Wir wollen keine Subventionen. Wenn man uns lässt, sorgen wir schon dafür, dass es läuft.“ Ein liberaler Traum, dieser Herr Ritter! Kann denn der FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler die bürokratischen Hürden für die Kirmesbetriebe abbauen? Ritter lacht aus blaugrauen Augen. „Sagen wir mal so: Wir hatten schon Koalitionen, die effektiver waren für uns.“