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Archiv-Artikel

Dies ist kein Rummelplatz!

Wochenendausflug ins Brandenburgische: Beim ersten „Berlin-Festival“ im idyllischen Paaren im Gliem ging es indie-puritanisch zu. Den musikalischen Ton gaben alte Underground-Recken an

VON ANDREAS HARTMANN

Sommer ist Festivalzeit. Zwischen Juni und August setzt in Berlin alljährlich eine regelrechte Landflucht ein: In den Clubs läuft kaum noch etwas, dafür umso mehr auf den Äckern, Wiesen und Feldern der Provinz. Lange Schlangen vor den Dixie-Klos, überteuertes Festival-Bier – all das nimmt man gerne in Kauf, um dafür in entrückter Stimmung gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegenzurocken.

Ein wenig Hippie- und Zurück-zur-Natur-Stimmung könne nicht schaden, dachten auch wir uns, als wir uns zum „Berlin-Festival“ aufmachten, einem Festival in der Nähe Berlins, das in diesem Jahr zum ersten Mal stattfand. Deswegen gestalteten wir die Anfahrt aus dem Herzen der Hauptstadt raus ins Brandenburgische als eine Art Wochenendausflug. Mit der Bahn nach Stralau, von dort weiter mit den Fahrrädern in das uns völlig unbekannte Dorf Paaren im Glien. Inklusive Bahnfahrt, Stralau-Besichtigung, häufigem Verfahren und Einkehr im Landgasthof auf einen „Waldpilzteller“ benötigten wir sagenhafte fünf Stunden für die Anfahrt. Dafür haben wir in Stralaus Fußgängerzone Rosen in Luftballons entdeckt und uns gefragt, wie die Rosen wohl in die Luftballons gekommen sind. Wir haben außerdem einen Hundesalon gesehen, der „Diva“ heißt, und festgestellt, dass auf dem Lande der Gegenwind beim Fahrradfahren noch schlimmer sein kann als der ewige und berüchtigte Gegenwind in Berlin.

Aufgrund dieser ausufernden Anfahrt haben wir dann leider eine der Bands verpasst, wegen der wir eigentlich gekommen sind: Black Dice, eine New Yorker Krachband, deren Wille zum nervtötenden Geräusch nur bedingt von dem ewigen Geknarze der Pedale eines unserer Fahrräder kompensiert wurde. Aber egal, es blieb ja noch einiges zu erleben. Denn das ist das Schöne bei Festivals: Alles wird man eh nicht erleben können, und man weiß, dass permanentes Band-Verpassen mit zum Programm gehört.

Dabei ist das „Berlin-Festival“ noch nicht einmal eines dieser überdimensionierten Drei-Tage-Marathon-Events, nach denen man erst mal eine Woche Urlaub braucht. Zu bestaunen gab es keine Maxïmo Park und auch keine andere „hipste Bands des Monats“, und am Schluss trat auch nicht Neil Young auf. Stattdessen erwarteten einen ausschließlich die Kleinen, die Guten, die weniger Gehypten. Es war offensichtlich, dass die Veranstalter dem grassierenden Größenwahn anderer Festivals – erlebe tausend Bands in drei Tagen und berichte davon später deinen Enkeln – etwas entgegensetzen wollten. Die Hauptbühne war klein, die Zweitbühne war in dem kleinen Raum eines Freizeitzentrums untergebracht. Es gab keine Hüpfburgen, keinen Streichelzoo, kein Bungee-Jumping, keine Kindertagesstätte, keine Tätowierer. Dieses Festival, schien man damit sagen zu wollen, ist kein Rummelplatz.

Doch, ehrlich gesagt, Rummelplatz wäre uns lieber gewesen. Wir vermissten das erwartete Woodstock- oder wenigstens ein Lollapalooza-Feeling. Wir vermissten sogar die Feuerschlucker, Eso-Hippies und Barfußler mit Dreadlocks bis zu den Knien. Wir waren bereit für Ekstase, Wahnsinn und die absonderlichsten Vögel, die wir je gesehen haben. Doch stattdessen ging es beim „Berlin-Festival“ geradezu indie-puritanisch zu. Man sah dieselben Leute wie in Berlins Szeneclubs mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie in Berlin, und die ungewöhnlichste Freizeitbeschäftigung neben dem Musikhören war Fußballspielen. Wer das Glück hatte, ein VIP zu sein, konnte immerhin im Backstage-Bereich ein paar Gänse in Freiluftkäfigen beobachten. Aber das war auch nicht abendfüllend.

Die Idee, ein Festival auf die Beine zu stellen, das anders und besser sein sollte als die üblichen Mega-Events, ging einfach nicht auf. Statt möglichen 3.000 und erhofften 2.000 Besuchern fanden dann auch nur 1.000 den Weg hierher. Gefühlt verloren sich jedoch kaum mehr als 500 Menschen auf dem Gelände. Man hatte also genügend Platz und konnte sich noch 20 Meter vor der Bühne mit seinem Picknickkorb gemütlich ins Gras setzen, was dann sozusagen Woodstock light ergab.

Dummerweise entpuppte sich mit der Zeit auch noch das musikalische Programm als weit weniger cool und außergewöhnlich, als man ursprünglich gedacht hatte. Man hatte plötzlich das Gefühl, sich auf einer Retroveranstaltung in frischer Verpackung zu befinden. The Undertones, einst John Peels Lieblinge, waren vielleicht vor 25 Jahren einmal wichtig. Doch sie hatten einen neuen Sänger, dem jemand mal hätte sagen sollen, dass Iggy Pop-Posen ab 40 nur noch Iggy Pop selbst stehen dürften. The Wedding Present, vor rund 17 Jahren ebenfalls einmal sehr wichtig, wirkten auch nicht mehr ganz frisch. Und was war eigentlich mit Ladytron los? Wie konnte aus dieser fröhlichen Elektronikpopband eine Art Anne-Clark-Gedächtnisband werden?

Während ihres Auftritts begann es glücklicherweise zu regnen, und man wurde mit dem schönsten Regenbogen beschenkt, den man sich vorstellen kann. Es begann allmählich zu dämmern, die Natur sorgte also für etwas Stimmung, Hoffnung kam auf, sich doch noch kollektiv im Schlamm wälzen zu können. Doch als wir uns die Kleider vom Leib rissen, wollte niemand mitmachen, und allein machte es keinen Spaß.

Außerdem war es ja auch ziemlich kalt geworden, wie wir fanden. Wir sind dann gegangen, ein langer Weg wartete auf uns. Wir waren aber ja auch die Einzigen, so mussten wir feststellen, die nach Paaren im Glien mit den Fahrrädern gefahren sind.