Vom Morgen bis in die Nacht

KUNST ALS KOMMUNIKATION Katerina Sedá macht ihre Kunst zusammen mit dem Publikum. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Luzern

Katerina Sedá will es mit ihrer Kunst „gewöhnlichen Menschen“, die oft als anonyme und amorphe „Masse“ erscheinen, ermöglichen, aus der Anonymität herauszutreten

VON RUDOLF WALTHER

Der Titel der Ausstellung im Kunstmuseum Luzern – „Talk to the sky, ’cause the ground ain’t listening“ (frei übersetzt: „Sprich mit dem Himmel, weil hienieden eh wieder keiner zuhört“ – ist das paradox-ironisch formulierte Credo der tschechischen Künstlerin Katerina Sedá wie der Schweizer Kuratorin Fanni Fetzer. In ihrer neuen Funktion als Direktorin des Kunstmuseums Luzern plädiert sie gegen den Mainstream für Kunst als politische und kommunikative Veranstaltung.

Das entspricht dem Selbstverständnis von Katerina Sedá, die sich für das Leben und Zusammenleben von Menschen interessiert. Nach punktuellen Auftritten auf der Biennale (2008) in Berlin und auf der Documenta (2007) in Kassel präsentiert die 1977 in Brünn geborene Künstlerin in Luzern eine umfassende Ausstellung. Sedá produziert nicht für den Kunstmarkt, sondern für die Öffentlichkeit, mit der sie sich darüber auseinandersetzt, was alle angeht: das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Orientierungen und Zielen.

Sedá verbindet in ihrer Arbeit Aktionen mit dem Publikum in politisch-aufklärerischer Absicht. Ausgangspunkt einer wichtigen Arbeit ist das tschechische Dorf Nosovice. Dort baute die koreanische Firma Hyundai ein Automobilwerk, das das agrarische Umfeld und die dörfliche Binnenstruktur veränderte. Solche Industrieansiedlungen spalten die dörfliche Gemeinschaft und schaffen außer Arbeitsplätzen Verlierer, Streit und Feindschaften. Sedá wollte die Dorfbewohner mit ihrer Aktion zu einer produktiven Auseinandersetzung mit der neuen Lage nach dem Einfall der Industrie zusammenführen und an den runden Tisch bringen. Sie animierte Dorfbewohnerinnen dazu, runde Tischdecken zu besticken, in deren Mitte ein kreisrundes Loch den Einbruch der Autofabrik ins Dorfleben markiert. Im ersten von neun Räumen der überzeugenden Luzerner Ausstellung stehen 100 runde Tische verschiedener Dimensionen, bedeckt von bestickten weißen Tischtüchern mit dem Loch, das den Verlust der Dorfmitte anzeigt, der eben dadurch ins Bewusstsein gerufen wird und förmlich nach kommunikativer Ver- und Bearbeitung schreit.

Ziel aller Arbeiten von Katerina Sedá ist es, „gewöhnlichen Menschen“, die oft als anonyme und amorphe „Masse“ erscheinen, ein Gesicht und eine Chance zu geben, aus der Anonymität herauszutreten. Das Alltägliche und das Durchschnittliche soll, wie Fanni Fetzer in ihrer instruktiven Einführung zur Ausstellung darlegte, ein Profil erhalten. Für eine partizipativ-aufklärerische Installation lud die Künstlerin Bewohner der gesichtslos-anonymisierten Plattenbausiedlung Nova Lisa, eines Vororts der Stadt Brünn, ein, miteinander ins Gespräch zu kommen, um sich kennenzulernen.

Sie schickte jedem Haushalt ein Hemd zu, das so bunt bedruckt war wie die pastellfarben angemalten Häuserblocks. Sie versah das Paket mit der Adresse eines Mitbewohners als Absender in der Hoffnung, die so in Verbindung gebrachten Personen würden sich treffen. Manche fühlten sich allerdings belästigt und in ihrer Anonymität gestört und reagierten ablehnend auf die künstlerische Zumutung. Schließlich lud die Künstlerin die angeschrieben Personen zu einer Vernissage ein und brachte so Menschen zusammen, die zwar Tür an Tür wohnten, sich aber bis dahin nicht kannten. Wer in solchen Aktionen von Katerina Sedá eine künstlerische Verwandtschaft mit Projekten von Hans Haacke vermutet, liegt nicht falsch.

Im Herbst 2011 lud die Künstlerin 80 Dorfbewohner aus Böhmen nach London ein, wo sie dem Publikum der Tate Modern Gallery einen Tag lang vorspielten, wie es sich im buchstäblich fernen Dorf „From morning till night“ lebt. 80 britische Künstler malten das Dorfleben von Bedrichovice im Londoner Kunstambiente, was allen Beteiligten kommunikative Erfahrungen, neue Blicke und Einsichten vermittelte.

Man würde die Künstlerin missverstehen und unterschätzen, wenn man sie als Sozialarbeiterin oder Therapeutin verstünde. Die in Luzern gezeigten Installationen und Videos belegen, dass ihr Anspruch darüber hinausgeht. Katerina Sedá legt mit ihren Arbeiten sanften, aber nachdrücklichen Protest ein gegen eine modische Vorstellung von Kunst, die sich nur an den Bedürfnissen und Gegebenheiten des Marktes orientiert und für die die Trennung von Kunst und Leben, Öffentlichem und Privatem, künstlerischem Tun und „normalem Leben“ zur nicht weiter hinterfragten Selbstverständlichkeit geworden ist. Sie begreift „ihre Werke als Mittel zur Veränderung gesellschaftlicher Beziehungen“ (Adam Szymczyk) und setzt sich damit von dem inflationär gewordenen Gerede vieler Kuratoren über „Positionen“ wohltuend ab.

■ Kunstmuseum Luzern. Noch bis zum 17. Juni