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Archiv-Artikel

Was aber ist die Partei?

Rot-Grün, wir danken dir (7): Intellektuelle Spinner seien die Grünen, hieß es Mitte der 80er in der DDR. Wären sie das heute noch, würde man sie vielleicht sogar wählen

„Schwer ist und nützlich die tägliche Kleinarbeit / Zähes und heimliches Knüpfen / Des Netzes der Partei vor den / Gewehrläufen der Unternehmer“ (Bertolt Brecht)

Sind Parteien mehr als Interessenvertreter einer bestimmten Schicht von Menschen? Oder sollten sie stellvertretend für uns kleine Egoisten an das Gemeinwohl denken, das uns ja langfristig auch wieder zugute kommt, weil jeder Mensch ein Kunde ist? Müsste nicht jede mehrheitsfähige Regierung die Interessenvertretung der Mehrheit der Bevölkerung gegen die Minderheit der Nutznießer des Kapitalismus sein? Es sei denn, sie verspricht der Mehrheit, sie an den Raubgewinnen künftiger Kriegszüge (Markterschließungen) zu beteiligen. Oder sind in Deutschland längst alle Nutznießer des Kapitalismus, und die anderen wohnen jenseits unserer Mauern?

Welches sind meine Interessen, und welche Partei vertritt sie? Wen muss ich wählen, damit der Palast nicht abgerissen wird? Damit das intellektuelle Niveau meiner Mitmenschen steigt? Damit es in Berlin endlich wenigstens ein bis zwei Radiosender gibt, die man auch tagsüber hören kann? Wer verhindert das Aufstellen hässlicher Laternen in der ostdeutschen Provinz? Wer überredet die Deutschen, höflicher zu mir zu sein? Und wer schafft endlich den Tod ab? Mein Staatsbürgerkundelehrer meinte Mitte der 80er, die Grünen seien intellektuelle Spinner, von denen sei die Befreiung der Menschen in der BRD vom Joch ihrer Unterdrückung nicht zu erwarten. Wenn sie heute noch intellektuell oder Spinner wären, vielleicht würde ich sie vielleicht sogar wählen. Aber in der Art, wie sie reden, klingen sie längst wie die anderen. Warum reden heute alle gleich? Weil der Druck der Öffentlichkeit alles nivelliert? Warum gilt es als Makel, wenn ein Politiker arrogant wirkt, weil er sich von Zeit zu Zeit an seinem Ego berauscht? Was in der Popmusik Erfolg erst ermöglicht, bei Politikern ist es nicht massentauglich. Aber will ich denn von Menschen regiert werden, die massentauglich sind? Das wäre doch, als würde ich immer die Musik hören, die der Mehrheit gefällt, also die aus den Charts.

Was gehen mich also Parteien an, die naturgemäß wie für möglichst breite Zielgruppen gecastete Bands sind? (Eine Umschreibung für den eigenartigen Begriff „Volkspartei“, früher sagten wir „Einheitspartei“.) Es geht ja leider nicht, dass einfach eine Zeit lang niemand an der Macht ist und die Verwaltung Deutschlands hinter den Kulissen von fleißigen, gut bezahlten Spezialisten erledigt wird. Repräsentieren sparen wir uns auch. Und die Gesetze, die wir haben, halten bestimmt noch eine Weile vor. Aber leider geht das nicht, irgendjemand ist immer da oben und trifft Entscheidungen in meinem Namen, für die ich vor der Geschichte haftbar gemacht werde, egal wie ich zur Regierung stand und obwohl ich die Entscheidungen ohnehin nicht hätte verhindern können.

Außerdem müsste ich als aufgeklärter Mensch ja gerade die Partei wählen, die nicht meine Interessen vertritt, die nicht versucht, im internationalen Gerangel am meisten für mich als Deutschen herauszuschlagen. Die langfristig daran arbeitet, dass die Welt nicht untergeht, auch wenn es kurzfristig mehr Spaß macht. Eine Partei, die besser weiß, was gut für mich ist, wie meine Eltern.

Ich warte auf eine Partei neuen Typus, mit Politikern, die ihre Ratlosigkeit nicht mit Rhetorik bemänteln, die auf dumme Fragen lakonische Antworten geben, denen es egal ist, was die Masse über sie denkt, die kein Image, sondern Charakter haben, die an grundlegenden, aus den erschütterndsten Erfahrungen ihres Lebens abgeleiteten Überzeugungen festhalten. Eine Partei, die überredet werden muss, die Macht zu übernehmen, und die deshalb nicht durch Umfragen erpressbar ist. Solange es die nicht gibt, wählt man eben irgendeine von den anderen.

JOCHEN SCHMIDT