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Archiv-Artikel

Das swingt so hochsommerlich

RETROSOUL Der Musiker Michael Kiwanuka und seine Band überzeugen trotz Muckerhaftigkeit mit einem ausverkauften Konzert im Postbahnhof

Neulich ist er bei Harald Schmidt aufgetreten. Ehrenwert ist das immer noch, denn, was die musikalischen Gäste betrifft, hat die Redaktion von Harald Schmidt immer auch Geschmack gezeigt. Und auch Abseitigem aus dem Mainstream eine Bühne geboten.

Michael Kiwanuka, der am Montagabend ein lange ausverkauftes Clubkonzert im Postbahnhof gab, erschien bei Schmidt als junger, schüchtern wirkender Mann mit niedlicher Akustikgitarre, der mit der Showband unter der Leitung von Helmut Zerlett sein Stück „Tell Me A Tale“ (und dann noch eins, das aber vom Sender abgeblendet wurde – Sendezeit war rum) aufführen durfte. Nur: Wer wirklich Mühe hatte, war die Showband. Die wurde von dem treibenden Soulstück, das auch am Montagabend das beste aus Kiwanukas noch schmalen Repertoire war, schnell an die Grenzen geführt. Die Band schlingerte, war schnell hinterher und klang bei aller Professionalität insgesamt hölzern. Womit sich eine Grundannahme wieder einmal bestätigte: In der Popmusik kommt es nicht darauf an, Noten zu können oder sein Instrument bis zur Virtuosität zu beherrschen. Es kommt auf den Vibe an.

Sechs mit Vibe

Im Postbahnhof konnte sich Kiwanuka, gerade Mitte zwanzig, auf seine Band verlassen. Die bestand aus fünf Männern: Gitarrist, Schlagzeuger, Bassist, Keyboarder und Perkussionist. Letzterer war für den Unterhaltungswert an diesem Abend verantwortlich: Während die anderen dastanden und die Musik sprechen ließen, holte er immer wieder neue seltsame Perkussionsinstrumente hervor, die komische Geräusche machten.

Aber den Vibe hatten die sechs natürlich. Die Musik swingte in ihren besten Momenten hochsommerlich vor sich hin; und dass Kiwanuka eine tolle Stimme hat, sollte sich langsam herumgesprochen haben. Was an diesem Abend aber auch klar wurde – für wirklich Großes im Sinne seiner Vorbilder, die um 1970 herum ihre besten Platten machten, man denke nur an Marvin Gaye, reicht es trotz eines langatmigen Jimi-Hendrix-Covers nicht. Das kann zwei Gründe haben.

Zum einen kann es am Material liegen. Bis auf „Tell Me A Tale“, das energetisch und fordernd ist und dann einen alles zurücknehmenden Einschub hat, einen Brückenteil, der in seiner Tempobeschränkung erst die richtige Spannung schafft, hört man in der Hauptsache gut gemachte, insgesamt etwas biedere Soulstücke. Solche, wie sie in den letzten vierzig Jahren immer wieder aufgenommen wurden (Bobby Womack statt Marvin Gaye, sozusagen). Wenn Kiwanuka als „Retrosänger“ gilt, dann liegt das wohl an der cleveren Produktion seines 2011 erschienenen Debüts – für das übrigens Paul Butler von der weißen Indie-Band The Bees verantwortlich zeichnete.

Zum anderen könnte es auch an der musikalischen Einstellung liegen. Klar, wenn noch nicht viel vorliegt, muss man strecken. Also zieht man die Stücke in die Länge, täuscht Improvisation vor, jammt muckerhaft herum – allein die Vorstellung der Bandmitglieder dauerte gefühlte zehn Minuten – und unterstreicht das mit Versunkenheitsgesten: geschlossene Augen, glückseliges Lächeln, langsames Schaukeln.

Dazu gab es das passende Publikum. Das kam vorwiegend aus Mitte und Prenzlauer Berg. Menschen ab 35, die es irgendwie geschafft hatten, Ex-Prekäre in der Phase zwischen letzter Mittelstandsrevolte und Mitte-des-Lebens-Krise. Junge Angestellte, ältere Connaisseure, schwangere Selbstständige. Ein Publikum also, das sich gern aufgeklärt gibt, dessen zur Schau gestellte große Emotionalität aber genauso gern oberflächlich bleibt. Wie geschaffen für Soulmusik also, retro oder nicht. RENÉ HAMANN