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berliner szenenFehlt nur die rote Zipfelmütze

Geschenke! Wer möchte Geschenke?“ Wir sitzen an einem runden Tisch in der hinteren Ecke unserer Stammkneipe und unterbrechen unser Gespräch. In einer schwarzen Winterjacke steht eine Frau um die 30 vor uns. In ihren Händen hält sie einen großen Pappkarton, der innen und außen mit goldener und silberner Folie eingekleidet und festlich mit Lichterketten dekoriert ist. Es fehlt nur die rote Zipfelmütze auf ihrem Kopf.

Sie eröffnet uns, dass sie eine ganz besondere Überraschung mitgebracht hat: den Adventskalender ihres Ex-Freundes. „Ich war nur kurz mit ihm zusammen. Ich will diese Geschenke einfach nur loswerden. Möchtet ihr sie?“, fragt sie uns. Zwischen unseren Bierkrügen und dem übervollen Aschenbecher tummeln sich bald prall gefüllte Jutesäckchen. Wir werden reich beschert: Hinter Nummer 3 verbirgt sich eine goldene Hirschfigur, in Nummer 19 steckt ein Massage-Gutschein und die Nummer 11 zaubert Bleistifte hervor. Die Kellnerin bekommt eine Caprisonne aus Jutesäckchen Nummer 5. Ich schnappe mir die beiden Lichterketten, die den festlichen Pappkarton schmücken. Lichterketten kann man immer gebrauchen. Als alle Gaben an die Knei­pen­be­su­che­r:in­nen verteilt sind, ist die Mission der Weihnachtsfrau erfüllt. Sie verabschiedet sich und stürmt aus der Bar. Vor dem Eingang wirft sie den Pappkarton auf dem Boden und trampelt wütend darauf herum. Es regnet in Strömen an diesem Dezemberabend: Bei einem besonders vehementen Tritt rutscht sie auf der silbernen Folie aus und plumpst nach hinten auf den Gehweg. Da sitzt sie nun auf dem nassen Kopfsteinpflaster und betrachtet die kläglichen Reste einer Beziehung, die definitiv nicht gut ausgegangen ist.

Auf dem Kneipentisch bleibt peinlich berührt ein Herz aus Papier zurück. Darauf steht: Mein Herz gehört dir. Julia Tautz

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