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Archiv-Artikel

Diamanten und Unruhen

SIERRA LEONE Zehn Jahre nach dem Krieg sind die alten Konflikte übertüncht, aber nicht verschwunden. Die totgeglaubten RUF-Rebellen kommen zurück

Schwunghafte Rohstoffgeschäfte, aus denen sich die lokale Bevölkerung ausgeschlossen fühlt – das war schon vor zwanzig Jahren Kriegsgrund

BERLIN taz | Zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg gibt sich Sierra Leone heute als ein verändertes Land. Es ist eine stabile Demokratie – die letzten Wahlen 2007 brachten einen friedlichen Machtwechsel zwischen den beiden großen Parteien. Zugleich erfreut sich der westafrikanische Staat der höchsten Wachstumsraten der Welt: 35 bis 50 Prozent sollen es dieses Jahr nach amtlichen Prognosen werden.

Sierra Leones Diamanten, während des Krieges weltweit als „Blutdiamanten“ verrufen und boykottiert, werden heute wieder weltweit verkauft. Der Israeli Benny Steinmetz, dessen „BSG Resources“ Sierra Leones größtes Diamantengebiet Koidu an der guineischen Grenze ausbeutet, plant als erstes afrikanisches Unternehmen überhaupt den Börsengang in Hongkong, um chinesisches Kapital aufzunehmen.

Wichtigste Wachstumsmotoren aber sind die gigantischen Eisenerzminen von Tonkolili im Bergwald gut 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Freetown. Mit Reserven von knapp 13 Milliarden Tonnen sind es die größten der Welt. Sie werden erschlossen von der einheimisch geführten Firma „African Minerals“ (AML). Im November 2011 wurde die erste Exportladung aus Tonkolili nach China verschifft. Der chinesische Konzern Shandong Iron & Steel erwarb jetzt für 1,3 Milliarden Dollar einen 25-Prozent-Anteil an AML, was den weiteren Ausbau ermöglicht.

Doch in Sierra Leone selbst herrscht Skepsis. Ob die nächsten Wahlen im November 2012 so glatt verlaufen wie die von 2007, wird weithin bezweifelt. Erst vor kurzem kaufte die Regierung von Präsident Ernest Bai Koroma für mehrere Millionen Dollar modernes Aufstandsbekämpfungsgerät für die Polizei. Die soziale Kluft im Land ist tief: Sierra Leone steht nach wie vor auf Platz 180 der 187 Länder umfassenden UN-Rangliste der „menschlichen Entwicklung“.

Örtliche Konflikte um die Rohstoffförderung nehmen denn auch zu. Schon vor Jahren sorgte die Vertreibung tausender Familien zugunsten des Ausbaus der Diamantenförderung von Koidu für Unruhen. Am 23. April endete in den Eisenerzminen von Tonkolili ein einwöchiger Streik für höhere Löhne. In seinem Verlauf stürmte die Polizei die nahe Kleinstadt Bumbuna, erschoss eine Frau und verletzte mindestens neun Menschen teils schwer.

Schwunghafte Rohstoffgeschäfte, aus denen sich die lokale Bevölkerung ausgeschlossen fühlt – das war schon vor zwanzig Jahren einer der Gründe für die Entstehung der Rebellenarmee RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) in Sierra Leone gewesen. Diese Armee wird jetzt in Den Haag als Kreatur des Liberianers Charles Taylor dargestellt. Tatsächlich wurde sie 1989 von sierra-leonischen Exilstudenten in Libyen gegründet, bevor Taylor überhaupt in Erscheinung trat.

Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, der nigerianische Protestsänger Fela Kuti, die karibisch-westafrikanische Reggaekultur – das alles waren Bezugspunkte für die Jugend in Sierra Leone Ende der 1980er Jahre, um gegen die an Londons Rohstoffbörsen orientierte herrschende Elite in den Krieg zu ziehen. Tonkolili ist nicht nur das Eldorado des sierra-leonischen Bergbaus – dort wurde RUF-Gründer Foday Sankoh geboren.

Sierra Leones heutige Regierungspartei APC (All People’s Congress) ist die gleiche APC, die 1978 das Mehrparteiensystem des Landes abschaffte und eine Diktatur errichtete, gegen die die RUF dann ab 1991 in den Krieg zog. Daraus entwickelte sich der Bürgerkrieg mit 50.000 Toten, um den es jetzt in Den Haag ging.

So wirft die Geschichte einen Schatten über Sierra Leone. Der wichtigste Gegenkandidat für Präsident Ernest Bai Koroma im November wird ausgerechnet Maada Bio sein, der 1996 zur schlimmsten Zeit des Krieges kurzzeitig in Sierra Leone herrschte. Bio tritt heute für die oppositionelle SLPP (Sierra Leone People’s Party) an, die das Land nach der Unabhängigkeit zunächst regiert hatte.

Die RUF selbst wiederum ist auch nicht totzukriegen. Nach dem Bürgerkrieg 2002 verwandelte sie sich in eine politische Partei namens RUFP (Revolutionary United Front Party) und verschwand in der Versenkung. Heute eröffnet sie unter Führung eines einstigen RUF-Sprechers, Eldred Collins, landesweit neue Parteibüros. Sie setzt für die Wahlen 2012 auf die Unzufriedenheit der Jugend. Collins lobte die RUF kürzlich in einem Interview als „Freiheitskämpfer“.DOMINIC JOHNSON