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Archiv-Artikel

Mitten ins Schwarze gebohrt

Nach Rückschlägen war die Förderung von Öl erfolgreich – dank Edwin L. Drake, Onkel Billy und einem neuen Gestängerohr

Nur eine alte Dampfmaschine erinnert noch daran, dass hier einmal Pithole war, die berühmteste Boomtown des jungen Ölzeitalters

AUS TITUSVILLE, PENNSYLVANIA, ADRIENNE WOLTERSDORF

In ihrem „Lucky Luke Band 18“ haben Morris und René Goscinny eigentlich alles erzählt: Titusville, 27. August 1859. Colonel Drake entdeckt Öl – schwarzes Gold! Sofort beginnt der Oil Rush. Der Bürgermeister von Titusville ruft Lucky Luke um Hilfe, um die Ordnung zu bewahren. Als Lucky Luke eintrifft, ist jeder, vom Sheriff bis hin zum Bestatter, dabei, nach Öl zu bohren. Sobald ein Brunnen sprudelt, geht der Streit los. Herbeigeritten kommt Barry Blunt, ein reicher Prospektor, der den Männern einen Ölbrunnen nach dem anderen abluchst. Seine mehr als krummen Methoden verärgern Lucky Luke.

An dem Ort, in dem der Comic-Held in „Im Schatten der Bohrtürme“ (1960) in einer lärmigen Westernstadt für Recht und Ordnung sorgte, steht heute kniehohes Gras. Die Lichtung, die einst die wüsteste Stadt ganz Pennsylvanias war, umgibt stiller Wald. Vögel zwitschern und ein Falke segelt dort entlang, wo sich einst die First und die Holmden Street kreuzten. Außer einer Reihe historischer Schautafeln und gemähter Wege, da, wo sich einmal tausende von Glücksuchenden, Arbeitern, Pferdefuhrwerke, Tagelöhner und Geschäftsleute im öligen Matsch drängelten, ist nichts zu sehen. Nur eine alte Dampfmaschine irgendwo im Gras und weiter entfernt ein kleines Museum erinnern noch daran, dass hier einmal Pithole war, die berühmteste Boomtown des jungen Ölzeitalters, dass das unsere ist.

Fred Slayter, selbsternannter Bürgermeister des längst imaginären Pitholes, ist heute nicht da. An vielen Tagen spaziert er in Zylinder und Lederstiefeln, gekleidet in der Mode der 1860er-Jahre, auf der Waldlichtung herum und erklärt lispelnd Neugierigen alles, was es über Pithole zu wissen gibt. Zum Beispiel, dass im Januar 1865 auf der einstigen Holmden Farm, hier am Ufer des Pithole Creek, ein erster Ölbrunnen zu sprudeln begann, was eine regelrechte Ölhysterie in den Vereinigten Staaten auslöste. Oder dass der Flecken mitten im Wald über Nacht von rund 15.000 Menschen, Ölsuchenden, Barbesitzern, Prostituierten, Barbieren und sogar einem Theaterensemble, das „Lady Macbeth“ zum Besten gab, überrannt wurde. Dass Pithole so viele Ölbohrtürme hatte wie ein ganzer Wald Bäume. Und dass der Phillips-Brunnen mit 4.000 Barrel am Tag lange der Rekordhalter bei der Ölförderung war. Dass der ganze Zauber aber nur rund 500 Tage währte – und dann, als das Öl plötzlich aufhörte zu sprudeln, über Nacht wieder verschwand.

Pithole ist die Zukunft

Ein großer Brand vernichtete schließlich rund die Hälfte der oft hastig an einem einzigen Tag errichteten Holzhäuser. Den Rest verkauften die wenigen, die noch blieben, als Bauholz an andere Boomorte in Nordwestpennsylvania, wo die Wiege der Ölindustrie steht. Pithole ist auch die Zukunft, meinen Experten, die glauben, dass die Ölvorräte der Welt bald erschöpft sein werden. So ruhig und friedlich wie hier könnte es dann auch in Kuwait, Basra oder Nigeria sein.

Auf den Tag genau heute vor 150 Jahren begann einige Kilometer weiter westlich von Pithole nahe Titusville eine neue Zeitrechnung. Bis dahin wurden erlegte Walfische gezählt und mit Besorgnis die Preisentwicklung des Waltrans beobachtet. Dieser Tran hielt lange Zeit die Lampen der Bürgerhäuser am Brennen. Doch die Wale wurden seltener, ihr Fang immer teurer und der Preis des Fischöls stieg. Er erreichte fast fünf Dollar das Fass, womit Krise und Dunkelheit absehbar waren, wenn nicht bald eine Alternative gefunden werden konnte.

Statt Lucky Luke betrat ein gewisser Edwin L. Drake die Szene in Titusville. Ein glückloser Zugschaffner, der zufällig in demselben Hotel in New Haven abgestiegen war wie ein gewisser James Townsend. Townsend war Bankier und Partner von George Bissel, einem ehrgeizigen, klugen Lehrer. Beide Männer hatten sich in Folge von zufälligen Beobachtungen und ein bisschen Nachdenken in den Kopf gesetzt, mit der als „Steinöl“ bekannten Substanz die Welt zu erleuchten. Das Öl sickerte, wie in vielen Teilen der Welt, auch in Pennsylvania an die Erdoberfläche. Es kam als lästiges Nebenprodukt bei Salzbohrungen und Grabungen zutage und wurde, wie im Rest der Welt, auch von Indianern der Region als Allheilmittel und „Seneca-Öl“ gegen Diarrhö, Hautkrankheiten, Zahnschmerzen und vieles andere eingenommen und aufgetragen. Townsend, Bissel und bald auch Drake wollten mit dem Öl einfach nur fabelhaft reich werden.

Aus Europa war bereits die Kerosinlampe und das Destillierverfahren für Steinöl eingetroffen. Was den Financiers der 1854 gegründeten Pennsylvania Rock Oil Company fehlte, war ein Verfahren, Öl, viel Öl zu fördern. Bis dahin schöpften Indianer und Farmer entlang dem Titusviller „Ölbach“ das Öl mit Jutetüchern ab, die sie auswrangen und ihre Ernte zu Hause anzündeten oder einnahmen. Drakes Rolle war zunächst die, den Farmern ihr verhältnismäßig wertloses Land abzuschwatzen, damit die Rock Oil Company bald Landtitel dort besaß, wo das Öl an die Oberfläche sickerte. Außerdem sollte der Mann, der mit allen gut konnte, obwohl alle ihn ob seines lächerlichen Vorhabens für verrückt erklärten, mit dem Bohren nach Öl beginnen.

„Wer genau die Idee hatte, nach Öl mit den gleichen Bohrtürmen zu suchen, wie es die Salzbohrer in den Appalachen taten, das bleibt unklar“, sagt Barbara Zolli, Direktorin des Drake Well Museums, das heute die historische Stelle hütet, an der Edwin Drake schließlich nach vielen Rückschlägen im August 1859 auf Öl stieß. „Bissel hatte sicher die ursprüngliche Idee. Aber Drake hat sie beharrlich umgesetzt und nach zahllosen Misserfolgen schließlich Onkel Billy angeheuert, einen erfahrenen Schmied und Salzbohrer, der die Werkzeuge schmieden konnte, die das Unterfangen benötigte.“

Pennsylvania Crude

Zolli, die in ihrem kleinen Museum das weltgrößte Archiv an Öl-Artefakten verwaltet, das sind Briefe, Leasingverträge, Nippes und Originalpumpen, sammelt in einem Büroschrank kleine Fläschchen mit Proben honiggelber bis rabenschwarzer Substanzen. Manche sind flüssig, andere scheinen eher ein Klumpen zu sein. „Unser Öl hier heißt Pennsylvania Crude“, sagt sie stolz, als sei es ein besonderes Verdienst ihres Bundesstaates, vor Millionen von Jahren Pflanzen und Tiere eingelagert und in reichlich Kohle und Öl verwandelt zu haben. „Man nennt es auch Süßöl.“

Als Drake am Montag morgen zur Bohrstelle kam, sah er Billy und die Gehilfen aufgeregt über mit Öl gefüllten Eimern, Waschzubern und Fässern wachen

Tatsächlich riecht das Öl, das aus den alten Brunnen rund um Titusville und Oil City kommt, leicht sirupartig. Es gilt noch heute als das beste Motoren- und Schmieröl. Texas hingegen riecht teerig, Irak ätzt wie Asphalt. Am schlimmsten ist Kanada. Die Probe mit Ölsand des Nachbarstaates stinkt nach faulen Eiern. Schnell wieder wegschließen, die Erde hat es gut gemeint mit Pennyslvania. Und mit Edwin Drake.

Vor einer idyllischen Gruppe alter Tannen pumpt in dem wiederaufgebauten Drake’schen Bohrhaus eine ächzende Dampfmaschine Öl in ein Fass. Das Pumphaus hat die Form einer Kirche. Ein Heizer hält während der Besuchszeiten des Museums mit drei Ster Holz die Maschine am Laufen. „Hätte Drake nur wenige hundert Meter weiter weg gebohrt – er hätte nichts gefunden, schreit der Heizer gegen den Lärm an. Die Schicht, die Drake schließlich anbohrte, hatte nie genug Gasdruck zum Sprudeln. Drake musste jeden Tropfen seiner 25 Barrel pro Tag hochpumpen. Auf zeitgenössischen Fotos sieht man um den Bohrturm herum eine Waldlichtung und viele Holzscheite, davor Drake in Zylinder und Frack.

Erfinder des Gestängerohrs

Seine Verdienste, da sind sich Zolli und ihre Kollegen einig, sind seine Beharrlichkeit und die Erfindung des Gestängerohrs, mit der es überhaupt erst möglich wurde, mehr als ein paar Meter tief zu bohren, ohne dass das Bohrloch kollabierte. Hätte er den Brief früher erhalten, den ihm Townsend aus Verzweiflung schrieb, hätte es mit dem Ölzeitalter womöglich noch etwas gedauert. Townsend, der einzige der Investoren, der nach drei Jahren noch bereit war, Geld in das so erfolglose wie teure Bohrprojekt zu stecken, schrieb Drake gegen Ende August, dass er keinen Cent mehr habe und Drake einpacken solle. Der Brief kam am Montag an. Am Samstag davor war Drakes und Onkel Billys Bohrkopf bei 23 Meter stehen geblieben. Am Sonntag kam Onkel Billy vorbei, um nach dem Rechten zu sehen und sah, dass sich im Bohrloch eine dunkle Flüssigkeit gesammelt hatte, die auf dem Wasser schwamm. Als Drake am Montagmorgen zur Bohrstelle kam, sah er Billy und die Gehilfen aufgeregt über mit Öl gefüllten Eimern, Waschzubern und Fässern wachen. Es war bewiesen. Nach Öl kann gebohrt werden.

Die „Drake Day Extravaganza“ zur 150-Jahre-Öl-Feier am heutigen Donnerstagabend im Museum wird in einer interaktiven Nitroshow gipfeln. Bei der können Besucher mitbestimmen, wer am Schluss des Theaterstücks in die Luft gejagt wird. Das Titusviller Postamt wird die Gedenk-Briefmarke „Oil 150“ enthüllen und der Bürgermeister des Ortes wird eine Ansprache halten. Darin wird er sagen, dass hier im Wald von Titusville vor 150 Jahren die größte Industrie begann, die die Menschheit je ersonnen hat. Kein Boss eines Ölkonzerns wird offiziell anwesend sein, wenn der Stadtvater sagt, dass alle Dinge, seien es die erste Pipeline, die ersten genormten Barrel, der Öltransport, der Ölhandel und die harten Bandagen des Business hier erfunden wurden. Titusville, so scheint es, wird ganz alleine feiern und am Ende entscheiden, wer in die Luft gejagt wird.