piwik no script img

Archiv-Artikel

Der einsame Visionär

Wilhelm Breitling hatte eine Vision – einen Kamelhof im Schwarzwald. Dafür hat er erfolgreich gekämpft und Jahre seines Lebens investiert. Reich und beliebt ist er dadurch nicht geworden. Mit 73 sucht er nun einen Nachfolger – bisher erfolglos. Den Hof aufzugeben würde ihm das Herz brechen

von Lena Müssigmann (Text) und Martin Storz (Fotos)

Wilhelm Breitling stellt seine Heugabel beiseite, zieht ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche, putzt sich die Nase. Für einen Moment hält er inne und blickt den Stallgang entlang, wo seine Kamele die Hälse nach Stroh und Gras recken. Bei diesem Anblick wird ihm warm ums Herz.

Breitling ist 73 Jahre alt und betreibt einen Kamelhof in Rotfelden im Nordschwarzwald. Kamele zwischen dunklen Tannen, diese Idee hat Breitling in den 70er-Jahren aus der Not geboren. Damals hatte der europäische Agrarkommissar vorausgesagt, die Landwirtschaft im Schwarzwald werde aussterben. Die Region sei im europaweiten Vergleich nicht wettbewerbsfähig. Breitling, der damals Landwirt war, fürchtete um seine Existenz. Dabei hatte er so viel für sie aufgegeben.

Nie ging er mit den Altersgenossen Fußballspielen – aus Angst, sich das Bein zu brechen und die Kühe nicht mehr melken zu können. Und plötzlich sollte es im Schwarzwald keine Landwirtschaft mehr geben? Dann eben Tourismus, sagte er sich. Kühe raus aus dem Stall, Kamele rein. Da sein Bauernhaus mitten im Ort zu klein war, entwickelte Breitling die Idee einer großen Freizeitanlage. Vor zehn Jahren hat er den Kamelhof offiziell eröffnet.

Im Stall ist Breitling morgens der Erste. „Die Kamele müssen zuerst meine Stimme hören, sonst bekommen sie Angst. So, guten Morgen!“, sagt er und bekommt ein tiefes Röhren zurück.

Breitling mischt in Eimern trockene Brotstücke mit Getreidekleie. Dann geht er, kaum 1,70 groß, in flotten Schritten den Stallgang entlang und schüttet seinen Tieren das Futter ins Heu. „Beim Arbeiten bin ich ein knallharter Antreiber. Bei mir ist die Zeit genau eingeteilt“, sagt er im Gehen. Er trägt Turnschuhe, Jeans und Strickpullover. Ein Bürstenhaarschnitt, kein Bart, strahlende Augen. Breitling hat etwas Verschmitztes.

Seine Begeisterung für die geduldigen Tiere mit den lang bewimperten Augen hat er 1975 in Tunesien entdeckt. Ihre Ruhe begeisterte ihn. Seitdem hat er dafür gekämpft, sie in den Schwarzwald zu holen. Gegen die Meinung seiner Stammtischfreunde, die ihn für einen Spinner hielten. Gegen eine Bürgerinitiative, die sein Projekt abschmetterte, den Kamelhof mit Kurklinik direkt am Ortsrand zu bauen. Breitling hat gewonnen. Aber Gewinner sind oft einsam.

Der Kampf um seine Idee hat Spuren hinterlassen

Sein Feierabendbier trinkt Breitling nicht mehr am Rotfelder Stammtisch, sondern auf seinem Kamelhof. „Oft hock ich damit bei meinen Kamelen im Stall, da stört mich niemand.“ Er besitzt 85 Kamele. Bilma war Breitlings erstes Höckertier, gekauft vor 24 Jahren. Sie lebt heute im „Altersheim“ des Hofes, der ersten Box im Stall, und bekommt ab und zu ein paar Extra-Streicheleinheiten. Der Hof sei für ihn Erholung und Arbeit zugleich, sagt Breitling. „Meine früheren Kollegen wollten mal Porsche fahren oder nach Neuseeland auswandern. Mir tun Leute leid, die ihre Träume nicht umsetzen.“

Er hat seine Vision verwirklicht, darauf ist er stolz. Doch der Kampf um seine Idee hat Spuren hinterlassen. Es kränkt ihn, dass die Menschen in seinem Heimatort gegen ihn und seine Kamele waren. Dass sie ihn nicht wenigstens in Ruhe gelassen haben. Dass sie nicht einmal verstehen wollten, was er vorhatte.

Ein Gegner von damals ist der Grüne Gottfried Gruner. Er fürchtete die Verbauung seines Sonntags-Spazier-Gebiets. Er sagt: „Weil Breitling das Projekt durchdrücken wollte, hat er sich bei einigen Leuten unbeliebt gemacht.“ Man grüßt sich und spricht nur das Nötigste.

„Ich frag mich manchmal: Warum hab ich mir das alles angetan?“, sagt Breitling. Mit 14 Jahren musste er das Gymnasium verlassen, weil der Vater mit schwerem Asthma aus dem Krieg zurückgekehrt war und die Arbeit auf dem eigenen Bauernhof nicht mehr schaffte. Der junge Wilhelm Breitling war an den Familienbetrieb gefesselt, hatte keinen großen Freundeskreis, saß tagelang im Schweinestall, wenn die Muttersau Junge werfen sollte. „Ich habe keinen Schulabschluss und komme aus ganz ärmlichen Verhältnissen. Deshalb ist es für mich schon eine Genugtuung, dass es geklappt hat. Ich habe recht gehabt. Meine Idee hat funktioniert.“

Breitling gibt aber auch seine Niederlagen zu. Dass der Kamelhof nicht auf seinem Wunschgelände steht, sondern dort, wo ihn die Gegner haben wollten. Dass es keine Kurklinik gibt, weil er sich den wissenschaftlichen Nachweis nicht leisten konnte, dass Kamelmilch bei der Allergiebekämpfung hilft. Dass zu seinem Seminar mit einem Kamelmilch-Experten aus Israel nur zwei der achtzig angeschriebenen Heilpraktiker gekommen sind. Aber er beschwert sich nicht. „Damit muss man rechnen, wenn man Visionen hat“, sagt er.

Kamele sind für eine Therapie so gut wie Delfine

Breitling sagt: „Wir sind mit dem Kamel dreißig Jahre zu früh dran.“ Bald werde man das Tier wegen seines ruhigen Gemüts und seiner Milch zu Therapiezwecken heranziehen. Davon ist er überzeugt. An der Berliner Charité durfte er seine Erfahrung mit Kamelmilch einer Ärztin für alternative Medizin vorstellen. Zu diesem Termin hat er sich von Ernährungswissenschaftlern und Doktoren begleiten lassen. „Da geh ich natürlich nicht allein als Bäuerle hin, das nur Schwäbisch kann und für das Hochdeutsch die erste Fremdsprache ist“, sagt er und lacht herzlich. Breitling kennt seine Grenzen. Nur für seine Vision kennt er keine.

Wenn er über die Weiterentwicklung des Hofs spricht, sprudeln die Ideen aus ihm heraus. Die Besucherzahlen seien durch Werbung locker zu steigern, eine Kurklinik, klar, man müsste vorher die Zulassung der Kamelmilch für Therapiezwecke bezahlen können, aber auch die tiergestützte Therapie funktioniere – mindestens so gut wie mit Delfinen.

Das alles wird aber im besten Fall sein Nachfolger umsetzen. Breitling muss verkaufen, denn seine Kinder wollen den Betrieb nicht übernehmen. Für Hof und Tiere verlangt er eineinhalb Millionen Euro. Aber es will ihn keiner. Der Hof wirft nichts ab, daran ändert auch der Verkauf von Kamelmilch-Creme nichts. Breitling lebt von seiner Rente. Der Hof muss für ihn nur eine schwarze Null schreiben. Diese Aussicht lockt keine Käufer.

„Wenn es einen Nachfolger gibt, würde ich hier noch zwei, drei Jahre umsonst mitarbeiten.“ Kein uneigennütziges Angebot. Ohne seine Kamele wäre Breitling einsam. Vielleicht schreibt er auch ein Buch über Kamelhaltung. Was bisher auf dem Markt ist, gefällt ihm nicht. „Das können sie dann nach meinem Tod aus dem Panzerschrank holen.“ Vielleicht nützt sein Wissen dann den deutschen Kamelzüchtern – in dreißig Jahren, wenn die Kameltherapie endlich anerkannt ist.

Breitling hockt sich zu seiner alten Kameldame Bilma in die Box und krault ihr den Hals. Falls er nur das Hofgelände verkaufen kann, müsste er die Kamele einzeln an neue Besitzer geben. Das bräche ihm das Herz. „Bilma würde ich lieber die Todesspritze geben, als sie wegzugeben.“

„Kamele haben keine Angst vor dem Tod“, sagt Breitling dann – und wenn er selbst morgen auf seinem Kamelhof tot umfiele, „was wäre schlimm daran“?