: Kubas Überlebenskünstler
PRIVATWIRTSCHAFT Sie profitieren an den Rändern des Großtourismus, der Kuba fest im Griff hat: Wahrsagerinnen, Bauern, Schönlinge und Taxifahrer
■ Der Wandel: Antonio Martinez Rodriguez ist seit 15 Jahren Direktor des legendären Hotel Nacional. Wie eine Trutzburg thront das Nacional auf einem Hügel über Havanna. „Das Hotel ist wie eine Altstadt, also eine Dauerbaustelle“, sagt der Direktor. Und: „Kuba ist in einem dramatischen Wandel, aber die Amerikaner werden das Land nicht mehr besitzen. Die privatwirtschaftliche Zukunft bringt Konkurrenz. Das ist gut. Es gibt private Hotels und Restaurants mit ausgezeichnetem Service.“
■ Wirtschaftsfaktor: Tourismus ist für Kuba die wichtigste Einnahmequelle. Miguel Ruiz, Chefreiseleiter der Rewe-Gruppe, erläutert die Tendenz: „Mehr als zweieinhalb Millionen Besucher kamen 2011, Tendenz steigend. Deutschland liegt mit über 100.000 Gästen auf dem fünften Rang.“
■ Zukunft: Die Tourismusindustrie bereitet sich auf die Zeit nach der Blockade vor. Amerika ist nah. Es wird in Neubauten im Strandort Varadero investiert. Bis September 2012 sollen in der Marina Varadero mehr als 1.000 Bootsanlegeplätze hinzukommen. „Viele wollen die Kolonialstädte noch einmal vor dem großen Systemwechsel sehen“, sagt Ruiz. Die neue Kampagne für den Tourismus steht dementsprechend unter dem Motto „Cuba auténtico“.
Diese Reise erfolgte auf Einladung von Rewe-Touristik.
VON PETRA SCHROTT
Mit durchgedrücktem Rücken und erhobenen Hauptes geht die Museumsführerin Esperanza García in ihrer blauen Uniform voraus. Die weiblichen kubanischen Staatsangestellten tragen Mini. García öffnet die Tür zu Zimmer 511 im Hotel Ambos Mundos. Ernest Hemingway hat hier in den 30er Jahren fast ein Jahrzehnt gewohnt. Ein Heiligtum mit den Büchern, die er las oder schrieb, dem schmalen Bett, auf dem alte Zeitschriften liegen, der eingespannten Seite in der Schreibmaschine unter Glas, handgeschriebenen Notizen. Mit ehrfürchtiger Stimme erzählt Esperanza García von dem amerikanischen Autor. Seit 14 Jahren führt Esperanza García, die selbst Literatur studierte, für sieben Stunden am Tag Touristen durch das klimatisierte Zimmer. „Ich liebe seine Bücher, aber noch mehr sein Leben“, sagt sie und deutet auf die Fotos der schönen Geliebten Hemingways. Durch die Lamellenjalousien in dem abgedunkelten Zimmer gibt es beste Aussicht auf die Hafeneinfahrt Havannas und die Festung San Carlos de la Cabana.
Unterhalb von Hemingways Zimmer warten zwei ältere Herren in Verkleidung auf ihren Auftritt. Einer spielt den Lebemann der 30er Jahre, ein anderer den Revolutionär mit Zigarre. Wer die Kamera hebt, wird aufgefordert zu zahlen. Ein Foto soll 1 CUC kosten, das ist der Peso cubano convertible, die Währung der Touristen.
Nebenjobs, um an die begehrten CUC zu kommen
Wenige Minuten weiter, am Plaza de Armas, ziehen sich drei Frauen, als Bäuerinnen verkleidet, noch schnell die Lippen nach, bevor sie sich einem Touristen als Modell aufdrängen. Sie schütteln das Plastikobst in ihren Körbchen und laufen ihm mit lauten Aufforderungen hinterher.
Erfolgreicher arbeitet Juana la Cubana, wie sie sich nennt, auf dem Platz der Kathedrale. Unter den Arkaden hat sie sich einen Schattenplatz gesichert. Als Anhängerin der Santeria ist sie in Weiß gehüllt, die Kleider fallen über ihren üppigen Körper. „Venga, venga“, winkt sie die Leute heran. Vor sich auf dem Tischchen liegen die Karten, mit denen sie die Zukunft voraussagt. Sie fixiert die Vorbeischlendernden, steckt sich genüsslich eine dicke Zigarre zwischen ihre vollen Lippen und pafft, bis die Rauchschwaden ihr Gesicht verdecken, und lacht laut. Hat jemand neben ihr Platz genommen, wird die Show leiser. Mit konzentriertem Blick zum blauen Himmel murmelt sie Botschaften von Glück und drohender Gefahr. Juanas Geschäft läuft gut. Inzwischen zahlt die 71-Jährige Steuern, ungefähr 10 CUC monatlich, das sind ungefähr 7,50 Euro.
Möbel, Kleidung, Haushaltsgegenstände und Benzin müssen in konvertierter Währung bezahlt werden. Die wenigen offiziellen privaten Märkte liefern Lebensmittel, die es schon lange nicht mehr über die Lebensmittelkarten gibt. Hier gibt es weder Schlangen noch Gedränge, denn bezahlt wird auch hier in CUC. Der schwierige Überlebenskampf ist an jeder Ecke der Altstadt zu beobachten. Vor dem luxuriösen Hotel Saratoga wartet ein abgemagerter alter Mann und versucht eine schmierige Zeitung zu verkaufen, Frauen betteln um ein Stück Seife.
Als 1962 die USA das Embargo über Kuba verhängten, bekamen alle, vom Baby bis zum Gefängnisinsassen, eine Libreta, die Karte für Lebensmittelzuteilung: 5 Pfund Zucker, 6 Pfund Reis, 200 Gramm Kaffee, 10 Eier monatlich, eine Schuluniform pro Jahr sind es heute. Rindfleisch, Butter, Obst und Kartoffeln sind mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gestrichen worden. Die Reiseleiterin Felicia sagt: „Die Nationalversammlung hat die Einführung einer einheitlichen Währung diskutiert und die Abschaffung der Lebensmittelkarte. Für 2012 hat noch jeder die Libreta bekommen, weil nur mit ihr die Ärmsten überleben können.“
Im Schatten der einst prächtigen Kolonialarchitektur wird mit einfachsten Dingen gehandelt. Eine Kiste Nägel, ein paar Plastikkabel, gebrauchte Schuhe. Ein junger Mann versucht ein Stück Fischfilet auf einer Plastikfolie in der warmen Hand loszuwerden.
Das Durchschnittseinkommen von 250 bis 350 Peso (rund 10 Euro) verspeist ein Tourist beim Mittagessen in den inzwischen erlaubten privaten Restaurants, den Paladares. Die Verhältnisse sind völlig verrückt. Ein Barkeeper kann an einem Tag auf den Monatsverdienst eines Arztes kommen. Auch schlecht bezahlte Lehrer versuchen nach ihrem Dienst mit Nebenjobs im Tourismus an die begehrten CUC zu kommen. In den Tanzschulen mieten vor allem europäische Frauen im mittleren Alter durchtrainierte junge kubanische Tänzer, weil sie den Salsa-Hüftschwung lernen wollen.
Offiziell ist Prostitution in Kuba verboten und wird mit Aufenthalt im Umerziehungslager bestraft. Doch wer mit Augenkontakt durch die Altstadt schlendert, bekommt auch tagsüber Körperdienste angeboten. „Ich habe sehr viel Zeit für dich“, ist noch die charmanteste Einladung. Eher modisch gedacht sind wohl manche Beschriftungen auf T-Shirts: SEX spannt in silbernen Lettern über den Brüsten oder „I am love woman“ auf einem Hemdchen, das über die Schuluniform gezogen wurde. CIA boy ist eine beliebte Variante bei Jungen.
Eine erschwingliche Stadtrundfahrt im Taxi
Neuerdings sind auch private Taxifahrten in Havanna erlaubt. Nestor Montero fährt noch im Staatsdienst, wie das blaue Nummernschild seines Oldtimers anzeigt. Der rosa Chevrolet hat einen festen Tarif, 30 CUC (23 Euro) kostet eine Stunde Stadtrundfahrt, das ist ungefähr das dreifache Monatsgehalt von Nestor, der 265 Peso (100 Peso sind rund 3,27 Euro) verdient. Er arbeitet täglich 10 bis 12 Stunden. Wenn er Einheimische mitnimmt, bekommt er 60 Peso die Woche zusätzlich.
Ein Fahrer muss hier auch erfindungsreicher Mechaniker oder Elektriker sein und vor allem sorgsam mit der Technik umgehen, denn es gibt keine originalen Ersatzteile. Der gut polierte rosa Chevrolet fährt inzwischen mit einem Nissanmotor. Die Lenkradschaltung wird mit einem grünen Plastikdraht zusammengehalten, der Außenspiegel ist geklebt. Beim Aussteigen sollte man sich die Tür von ihm öffnen lassen, weil man es allein nicht schafft. Nestor ist seit 31 Jahren Fahrer, früher im Lkw, jetzt im Chevrolet mit Aussicht auf Trinkgeld. „Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit.“
Noch 10 Sekunden rot zeigen die großen Digitalziffern an der Kreuzung. Zufrieden summt Nestor zur Musik, die er aus Miami mitgebracht hat, Sinatra, die Beatles. Seine spanischen Vorfahren haben ihm zu einem Pass verholfen, erzählt er. Direkte Ein- und Ausreise in die USA sind verboten. Über das Drittland Mexiko durfte er zu den Verwandten fliegen. „Aber es hat mir überhaupt nicht gefallen, alle sind gestresst, abends ist niemand auf der Straße. Ich bin froh, wieder hier zu sein.“
Im Betrieb lernt er abends Englisch, damit er – wie jetzt – die Sehenswürdigkeiten Havannas erklären kann. Vorbei am Revolutionsplatz, der in der Mittagshitze leergefegt ist. Der betonierte Aufmarschplatz glüht, und das gigantische weiße Marmordenkmal von José Martí brennt in den Augen. Die jungen Frauen mit den gelben Fahrradtaxis warten vergeblich auf Kundschaft. Che Guevaras Umriss bedeckt das Hochhaus des Verteidigungsministeriums. Weiter geht es, vorbei an den chicen Villen im Stadtteil Miramar. Hier leben Diplomaten, wie die schwarzen Autokennzeichen zeigen, oder Prominente, Sportler und Staatsgäste wie Hugo Chávez, wenn er zu Besuch ist.
Etwas unwillig hält Nestor in dem Park Isla Josefina an. „Hier ist Hexerei im Gange“, meint er. Zwischen den riesigen Ficusbäumen, die ihre Äste zum Boden schwingen, liegen Federn, und es riecht nach Verwesung. Eine Beschwörungszeremonie. Ein Babalaos, ein Priester der Santeria, wirbelt ein lebendes, flatterndes Huhn durch die Luft, dreht ihm den Hals um. In Schlangenlinien spritzt er das Blut in den vorbeifließenden Bach und dann über den Kopf einer traurig und krank aussehenden Frau.
Ausflug ins Weltkulturerbe Valle de Viñales
Es ist Sonntag, und die Autobahn scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Fahrräder und Ochsenkarren nehmen die Mitte der Straße in Besitz und werden von Pferdekutschen überholt. Der unbewaffnete Polizist an einer Kreuzung, der normalerweise staatliche Busse und Lkws anhält, um die Mitnahme von Passagieren zu regeln, hat wenig zu tun. Am Wegesrand werden gekochte Hähnchen und Bananenstauden verkauft. Illegal. Wenn die Polizei gesichtet wird, schlagen sich die Händler in die Büsche. Offiziell ist hier nur der Souvenirstand im Autobahncafé. Che ist dort der Kultstar auf Mützen und Shirts, letzter Schrei ist der rote Stern auf Babykleidung.
Auch in der wunderschönen Landschaft des Valle de Viñales in der Region Pinar del Río, das 1999 von der Unesco als Weltkulturerbe geadelt wurde, floriert inzwischen die Privatwirtschaft. Im Ort Viñales gibt es bereits 400 Privatquartiere. Die kleinen Häuser sind in kräftigen Pastellfarben frisch gestrichen, auf den Holzverandas kann man in Schaukelstühlen unter rot leuchtenden Tulpenbäumen wippen. Die Hausherrin führt durch das Privatquartier. Über dem Fernseher im Wohnzimmer hängt ihr Jugendfoto, das sie an ihrem 15. Geburtstag zeigt. Quince, das ist der höchste Festtag, an den alle kubanischen Mädchen fotografiert werden. Weiter geht es in die blank geputzte Küche und ihre zwei Gästezimmer. Hinter dem Haus werden ein paar Schweine gemästet, dazwischen laufen gackernde Hühner durcheinander. Mit dem schön eingedeckten Tisch vor der Tür will sie Pensionsgäste anlocken. Sie müsse viel Steuern zahlen, meint sie und fügt stolz hinzu: „Das Haus im Rohbau gegenüber gehört auch meiner Familie.“
Der Fremdenführer Rolando zeigt die Dorfstraße mit Bäcker und Baseballplatz und macht einen Spaziergang durch die Ananas- und Tabakfelder. Eine Bar zwischen den Plantagen zeugt davon, dass hierher Touristen kommen. Nur einen kleinen Teil der Tabakernte dürfen die Bauern behalten, um Zigarren ohne Banderole privat zu verkaufen.
So verdient Herardo Gonzales ein Zubrot. Seit dem Jahr 2000 zeigt er Fremden am Küchentisch, wie man eine Zigarre dreht. Er ist 47 Jahre, das älteste von sieben Kindern und lebt mit seinen Eltern zusammen in dem bescheidenen Bauernhaus. Kelchige, blaue Faustoblumen hängen wie Schmuck an dem bescheidenen Bauernhaus herab. Herardos Mutter Clara zündet die Holzkohle, bis rauchige Luft durch die offenen Fenster abzieht. Sie mahlt Kaffee und brüht das Pulver im Metallgeschirr auf. Draußen spannt derweil der Vater die Ochsen vom Karren und macht eine kurze Pause, setzt sich dazu, bis er mit den Ochsen wieder aufs Feld zieht.
„Cuba auténtico“, ganz so, wie es die neu geplante touristische Werbekampagne verspricht.