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Archiv-Artikel

Mein Freund, der Flow

„Willst du die Party rocken? Oder einfach was Ehrliches kicken?“ Der Hamburger Rapper Denyo von den ’Beginnern’ über das Geheimnis des Flow

„Der Flow ist scheiße, die Beats sind schlapp, aber der Typ ist einfach cool“

Im HipHop bezeichnet der Begriff „Flow“ den sprachlichen und rhythmischen Fluss, mit dem ein Rapper seine Reime textet und vorträgt. „Ein Rapper mit Flow gerät nicht ins Stottern, behilft sich keiner Füllwörter, spricht flüssig und dennoch im Takt“ (HipHop-Lexikon, 1999). Einer, der zweifellos den „Flow“ hat, ist Denyo von den ’Beginnern’.

taz: Du gehörst mittlerweile zu den Urgesteinen des deutschsprachigen Raps. Wann ist dir zum ersten Mal die Vokabel „Flow“ begegnet?

Denyo: Keine Ahnung, ob das zu meiner Anfangszeit schon gesagt wurde. Haben Ice-T, Public Enemy oder N.W.A. das Wort „Flow“ benutzt ? Da wäre ich mir jetzt gar nicht so sicher. Wahrscheinlich war der „Flow“ im Hardcore-Rap nicht so richtig zuhause und kam erst mit diesem „Sunny Side“-Stil auf, wo alles ein bisschen smarter und lockerer zuging, ganz ohne Gangster-Attitüde.

Wie definiert sich der „Flow“ im HipHop-Kontext?

Mit dem „Flow“ ist das so eine Sache. Unter Rappern gibt es Techniker, bei denen sich jede einzelne Silbe reimt und alles perfekt gesetzt ist. Das kann man „Flow“ nennen, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn auch irgendein Freestyle-Rap von Jay-Z kann den „Flow“ haben, obwohl der vielleicht gar nicht so raffiniert gereimt ist. Es gibt Rapper, die eigentlich Scheißtexte schreiben, aber dafür so eine tolle Stimme haben, so viel Energie, dass die dann im übertragenen Sinne doch wieder irgendeinen „Flow“ produzieren. Es gibt Typen, die alles extrem geil setzen, aber trotzdem kommt nichts herüber. Und dann wären da noch die fünf Weltbesten, die alles haben und können. Alle anderen liebt man für bestimmte Sachen, in denen sie jeweils besonders sind. Ich zum Beispiel mag ja Fler, wegen seiner sympathischen Ausstrahlung.

Wen?

Ach, war nur’n Gag. Aber Biz Markie zum Beispiel: Der „Flow“ ist scheiße, die Beats sind schlapp, aber der Typ ist einfach cool.

Passiert es dir als Rap-Texter, dass du inhaltliche Aussagen dem Text- und Reimfluss unterordnest?

Das kann vorkommen. Wenn du an einem Longplayer arbeitest, ist es wichtig, dass unter den vielen Stücken auch welche sind, in denen der Inhalt dem „Flow“ untergeordnet wird. Sonst kommt ein zu ernstes Album heraus und die Texte wirken zu gewollt. Es ist aber genau so wichtig, sagen zu können: Scheiß’ auf Reim, Beat und „Flow“, ich will jetzt einfach etwas Ehrliches kicken, frei heraus. Es kommt halt darauf an: Will man die Party rocken? Oder etwas formulieren, was einem am Herzen liegt? Da gibt es verschiedene Herangehensweisen mit unterschiedlichen Prioritäten.

Der Bremer Musikpädagoge Andreas Burzik hat eine Übe-Methode speziell für Musiker entwickelt, grob verkürzt geht es dabei um einen Zustand von „völligem Aufgehen“ in einer Tätigkeit. Der Lernprozess als „kontinuierlicher Fluss“, totale Konzentration ohne jegliche Anspannung. Kennst du diese Art von „Flow“?

Der Begriff war mir so noch nicht bekannt. Aber ich kenne den Zustand. Das hat sehr viel mit Motivation zu tun, mit Ideenreichtum. Und du musst bei der Arbeit immer wieder Euphorie verspüren. Manchmal höre ich einen geilen Beat von jemand anderem und bekomme sofort Lust, selbst etwas zu machen. Wenn man richtig angestachelt ist, kann man dann 20 Stunden am Stück an einem Track basteln. Das setzt vielleicht eine gewisse Portion „Autismus“ voraus. Es gibt ja Leute, die es total langweilt, ein paar Stunden ganz allein etwas zu machen. Das ist bei mir nicht so.

Im Grunde ist das doch auch eine der nötigen Voraussetzungen zum Künstlersein.

Genau. Man muss gut allein arbeiten und sich dabei treiben lassen können, das ist ganz wichtig. Aber es genügt nicht, sich einfach nur irgendwie „frei“ zu machen. Du musst natürlich auch dein Handwerk richtig beherrschen. Und wenn es dir dann gelingt, dich frei zu machen, dann hast du schon ziemlich viel „Flow“ für dich gepachtet.

Im HipHop gibt es eine ganz besondere Disziplin für MCs, die des „Freestyle“. Hier improvisieren die Rapper ihre Zeilen aus dem Stehgreif. Wie übt man sowas?

Dazu könnte Samy Deluxe viel mehr sagen. Ich bin nicht so der Freestyle-Typ. Trotzdem weiß ich eines: Ich schreibe jeden Tag Texte, und je länger du dich in dieser Routine aufhältst, desto mehr kannst du dich auf dich verlassen, vor allem beim Freestyle. Du weißt einfach: Da kommt immer was nach. Und mit so einem Selbstbewusstsein gehen Leute dann auf die Bühne. Selbst an einem schlechten Tag kommt da kein schlechter Freestyle heraus. Und Sam ist einfach einer, der von Anfang an ganz krass, tagein, tagaus gefreestylt hat.

Interview: Michele Avantario