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Archiv-Artikel

strafplanet erde: die bierbichlerin ist tot von DIETRICH ZUR NEDDEN

Herbert, ein Dichter und Wilddieb, hat dem Heinrich ein Geld gegeben, damit der den Bürgermeister spielt und den Dichter ehrt, wenn das Fernseh kommt. Das Fernsehteam hat total besoffen in der Gaststube dem Festakt beigewohnt, und die anderen sind auch besoffen gewesen, und der Heinrich hat im Namen der Gemeinde dem Dichter Herbert gedankt und gesagt: „Damit muss sich die Kommunalpolitik abfinden, dass kulturelle Ereignisse schief gehen, die nicht 200 Jahre lang geprobt worden sind. Aber ich lass mich nicht abbringen, ab und zu unseren Schriftsteller zu ehren, weil er Bücher schreibt, statt jemand umzubringen.“ Der Herbert hat sich gleich danach in die Hosen geschissen.

So ungefähr beginnt eine Sequenz in „Servus Bayern“, Herbert Achternbuschs erstem Film auf 35 Millimeter, gedreht 1977 nach dem grandiosen „Bierkampf“. Die High-End-Feuilletons schätzten den „Experten für Bier im Film“. Und ich erst! Doch in der norddeutschen Stadt, in der ich wohnte, war nichts weniger cool, weniger sexy, als Filme von ihm anzuschauen. Wer damals so mit 16, 17 Wert darauf legte, solo auszugehen, der musste nur den neuen Achternbusch-Film für die Abendgestaltung vorschlagen. „Einmal und nie wieder“, sagte Inga, „ach, nö“, sagte Christine, „du spinnst wohl“, sagte Ilona. Die Kumpels verweigerten sich desgleichen. Laiendarsteller! Egomanie! Monologe! Schmarrn! Eben drum, schätze ich, gefiel es mir. Von Achternbuschs Sachen beeindruckt zu sein war ein real existierendes Alleinstellungsmerkmal.

In „Servus Bayern“ übernimmt dann die Kamera in der Gaststube den Blickwinkel Herberts, der mit den voll geschissenen Hosen. Annamirl Bierbichler kommt herein. Sie spielt die Wirtin und die Frau des Dichters. Sie sagt: „War wieder was los? Was stehst denn da wie auf einem Dampfer und frierst? Die Traurigkeit hängt dir wie Würmer aus den Augen. Wenn ich nur wüsste, wie ich an dein Herz komm.“

Der Monolog dauert über eine Viertelstunde und ist keine Sekunde zu lang. Der hätte Inga, Christine und Ilona doch bestimmt gefallen. Die herbe Sanftmut, die wuchtige Klage der Abrechnung mit dem Gespons waren umwerfend, imponierender, als es jede Berufsschauspielerin hätte darstellen können. Seit ich Annamirl Bierbichler in diesem Monolog erlebt hatte, verehrte ich sie, um deren Mitarbeit Achternbusch monatelang im Wirtshaus ihrer Eltern, wo sie arbeitete, geworben haben soll. Bis 1994 machte sie mit, ist dem Lexikon zu entnehmen, ich hatte sie schon länger aus den Augen verloren, so wie die Arbeiten Achternbuschs, die ich irgendwann nur mehr höchstens im Vorbeigehen wahrnahm.

Neulich stieß ich im Perlentaucher auf die Zeile: „Gerhard Stadelmaier verabschiedet Annamirl Bierbichler.“ Was soll das heißen, dachte ich begriffsstutzig. Abschied vom Film, von der Bühne? Annamirl Bierbichler ist gestorben. Abends schob ich die verstaubte Videokassette von „Servus Bayern“ in den Rekorder. Waren die Postleitzahlen noch vierstellig, als ich’s zuletzt angeschaut habe? Ich drückte auf Start. Das Band war nicht auf Anfang gespult – Zufälle gibt’s! –, sondern genau an der Stelle, als Annamirl Bierbichler in die Wirtsstube kommt und den Monolog beginnt. Servus!