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Was dem dummen Volk nicht gefällt

betr.: „Oui zur Demokratie. Non zur Verfassung“, taz vom 31. 5. 05, „Die Europäische Union wird bedeutungslos“, Interview mit Peter Glotz, taz vom 1. 6. 05, „Zwei Todesfälle in vier Tagen“, taz vom 3. 6. 05

Die EU muss einfach bürgernäher und demokratischer werden. Die geplante Verfassung geht in die richtige Richtung, aber eben nicht weit genug. Ich zweifle daran, dass nach der Verabschiedung dieser Verfassung eine weitere Demokratisierung der EU noch möglich wäre – deshalb würde auch ich mit „Nein“ stimmen, wenn ich denn dürfte. Das EU-Parlament muss endlich die Rechte bekommen, die einem Parlament eben zustehen. Dazu gehören:

– das Budgetrecht über den kompletten EU-Haushalt und damit auch Einfluss auf den Beamtenapparat (Planstellen)– das Initiativrecht– Zuständigkeit für alle Sachbereiche, für die die EU zuständig ist– das Recht, einzelne Kommissionsmitglieder zu wählen und abzuwählen, denn es gibt keine europäische Öffentlichkeit als Kontrollinstanz wie in den Nationalstaaten– EU-Richtlinien und Verordnungen müssen zuerst vom Parlament verabschiedet werden und gehen erst dann in den Rat – Der Rat darf Entscheidungen des Parlaments nur mit qualifizierter Mehrheit ablehnen.– Die Regierungen sind bezüglich Abstimmungen im Rat an Entschließungen der nationalen Parlamente gebunden.

Ein großer Teil der technischen Bestimmungen im Kapitel III sollte gestrichen werden, so etwas gehört nicht in eine Verfassung. Ergänzungen der Verfassung und deren Annahme sollten in einem EU-weiten Referendum erfolgen, das nähme innenpolitischen Auseinandersetzungen einige Schärfe. Auch Erweiterungen der EU sind durch ein EU-weites Referendum zu legitimieren. Dann hätte man eine überschaubare Verfassung und eine demokratische und viel bürgernähere EU. FRANK SEGTROP, Berlin

Selbstverständlich ist die EU handlungsunfähig, wenn sie nicht so funktioniert, wie Herr Peter Glotz und seine Freunde es für richtig halten. Nach jeder verlorenen Wahl dasselbe Theater: Man hat nur verloren, weil das Volk zu dumm war, die Partei richtig zu verstehen, das nächste Mal wird es besser aufgeklärt werden und dann wird man auch gewinnen.

Vielleicht aber gefällt es dem dummen Volk nicht, wenn in der Verfassung (!) ständige Aufrüstung festgeschrieben wird (Art. I–41), zumal, wenn die Verfassung auf unbegrenzte Zeit gelten soll (Art. IV–446). Vielleicht will das Volk durch das Parlament selbst die Entscheidung darüber treffen, ob in einem „Kampfeinsatz“ viele Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden sollen und alle Entscheidungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik allein dem Sicherheitsrat überlassen bleiben, also unter Ausschluss des Parlaments (Art. I–41/4).

Wahrscheinlich passt dem Volk auch nicht das sture Festhalten an einer Wirtschaftspolitik des offenen Marktes und des freien Wettbewerbs, die bisher die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer gemacht hat, die die Umschichtung der Güter von unten nach oben beschleunigt, die es ermöglicht, durch den bloßen Ver- und Ankauf von Aktien ein Vermögen zu erwerben, ohne auch nur für einen Cent irgendwelche realen Sachwerte geschaffen zu haben. So gewinnen Börsenspekulanten die Macht, politische Entscheidungen zu beeinflussen, ohne jede demokratische Kontrolle.

Vielleicht haben die Franzosen, die ja mehr Erfahrung in Revolutionen haben als die braven Deutschen, von diesem Wirtschaftssystem genug und wollen es nicht noch auf unbegrenzte Zeit in einer Verfassung festgeschrieben haben.

HANS-JOACHIM LEMME, Frankfurt am Main

Die Politiker aller EU-Länder haben Europa doch fleißig dazu missbraucht, Gesetze, welche sie in den eigenen Parlamenten nie durchbekommen hätten, durch die europäische Hintertür einzuführen. Da heißt es dann: „Wir würden ja gern anders handeln, aber die EU lässt uns keine Wahl.“ Hinzu kommt, dass der lobbygesteuerte EU-Rat sich weder vom demokratisch gewählten EU-Parlament noch von den Regierungen der Länder beeinflussen lässt.

Die EU-Bürger wollen halt nicht in einem Europa der Lobbyisten leben, schon gar nicht, nachdem sie bereits ein paar feine Beispiele davon präsentiert bekommen haben. Wer kann es ihnen verdenken? Die EU-Verfassung ist die Gelegenheit, in der EU endlich demokratische Entscheidungsstrukturen einzuführen, vorzugsweise indem man den EU-Rat in seiner derzeitigen Form gleich ganz abschafft.

RALF BERGER, Aachen

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