: Panik in den Ställen
REIT-EM Der schlechte Auftritt der deutschen Dressur-Equipe sorgt kaum für Aufsehen, weil im Reitverband wegen der Anti-Doping-Politik ein Machtkampf entbrannt ist
VON CHRISTIANE MITATSELIS
Die Pferdesportler, die es ohnehin gern edel mögen, haben sich einen besonders noblen Ort für ihre europäischen Titelkämpfe 2009 ausgesucht. Vor Schloss Windsor, in der Parkanlage der Queen, finden noch bis Sonntag die Europameisterschaften der Spring- und Dressurreiter statt. Die deutschen Reiter werden das englische Idyll aber nicht in allzu guter Erinnerung behalten. Es herrscht Panik in den Ställen, die Reiter haben die Probleme, die sie in den vergangenen Monaten angehäuft haben, mit auf die Insel genommen – und zu allem Überfluss liefern sich die Funktionäre einen eskalierenden Machtkampf. Der adlige Verbandspräsident Breido Graf zu Rantzau hat gar sein Schloss Breitenburg in Schleswig-Holstein verlassen, um in England seine Pfründen zu verteidigen.
Auslöser der Querelen: Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben, verschreckt durch die vielen Dopingfälle im Reitsport, die Verhandlungen über einen neuen TV-Vertrag gestoppt. Die Sender wollen nur weiter übertragen, wenn es der deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) gelingt, endlich eine glaubwürdige Haltung im Antidopingkampf zu demonstrieren. Grund für den Verhandlungsstopp sei die „Häufung der Dopingfälle“ gewesen, sagt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. Der alte Kontrakt läuft Ende des Jahres aus. Er bringt der FN etwa eine Million Euro pro Jahr, den Sponsoren die hoch erwünschte TV-Präsenz auch bei kleineren Turnieren – und ist somit das Lebenselixier der Reiter.
Den Ausschlag für die Skepsis der TV-Anstalten gaben nicht nur der Dopingfall der Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth, deren zitternder Wallach Whisper ein Mittel gegen Schizophrenie erhalten hatte, und die Aussagen des Springreit-Olympiasiegers Ludger Beerbaum zu seiner Einstellung in Sachen Pferdemedikation („In der Vergangenheit hatte ich die Haltung: Erlaubt ist, was nicht gefunden wird.“), sondern auch die dubiosen Ereignisse von Hongkong um Marco Kutschers kollabierten Springhengst Cornet Obolensky, die immer noch ungeklärt sind. Gesichert ist nur, dass das Pferd im vergangenen Sommer nach der ersten Runde des olympischen Teamwettbewerbs eine nicht genehmigte Spritze mit den Substanzen Arnika und Lactanase bekommen hatte. Das Pferd erlitt einen Schwächeanfall – und wurde am folgenden Tag trotzdem in der zweiten Runde des Nationenpreises eingesetzt. Nun trug es sich zu, dass sich die Herren Graf zu Rantzau, Reinhard Wendt, FN-Sportchef, und Peter Hofmann, Vorsitzender des Springausschusses, in der Stallgasse aufhielten, als der Hengst schwächelte. Die Funktionäre geben an, sie hätten den Vorfall als nicht dramatisch eingestuft und deshalb nichts unternommen. Klingt arg naiv, und deshalb nehmen ihnen das nicht alle ab. Der Vorwurf der Tierquälerei steht im Raum. Es hat sich eine Gruppe von Kritikern formiert, die die FN-Spitze entmachten wollen. Angeführt wird die Opposition von SPD-Politiker Peter Danckert, Präsident des Landesverbandes Berlin-Brandenburg und Vorsitzender des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. Er hält die Funktionärsaussagen um Graf Rantzau für „unglaubwürdig“. Flankiert wird Danckert vom hessischen Verbandspräsidenten Klaus-Martin Rath. „Der Zustand ist nicht mehr haltbar, der Verband sollte sich überlegen, wie er den Weg für einen Neuanfang freimachen kann.“
Rath ist verheiratet mit der ehemaligen Dressurreiterin und Sporthilfechefin Ann-Kathrin Linsenhoff, die, wie es heißt, als Nachfolgerin des Grafen Rantzau bereitstünde. Der Präsident denkt jedoch nicht ans Aufhören. „Weil da einer hustet, werde ich nicht zurücktreten und auch niemanden entlassen“, sagt der 60-jährige Graf. Die Steiner-Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes soll nun klären, was wirklich im olympischen Stall geschehen ist. Danckert hat bereits angekündigt, er wolle personelle Veränderungen erzwingen, falls die FN-Spitze am 2. September auf ihrer Präsidiumssitzung keine „klaren Reaktionen“ auf die Anschuldigungen zeige. Ein wenig verdeckt vom Funktionärsgemetzel wurde bisher das sportliche Geschehen, doch das konnte den Reitern sogar recht sein. Die ehemals unschlagbare deutsche Dressur-Equipe, die verletzungs- und dopingbedingt auf vier Weltklassepaare verzichten musste, holte in Windsor nur Bronze und erzielte damit ihr schlechtestes Ergebnis in der EM-Geschichte.