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Archiv-Artikel

Greifvögel stürzen ab

Für die World Games-Teilnahme hat der „Swooping“-Sportler Tobias Scherrinsky sogar sein Auto verkauft

MARL taz ■ Wenn Tobias Scherrinsky Zeit hätte, würde er öfter mal auf Holz klopfen. „Jede 30. Landung endet bei uns mit einem Crash, aber ich habe mir noch nie etwas gebrochen“, sagt er. Selbstverständlich ist das nicht, denn der 27-jährige Industrie-Mechaniker aus Marl betreibt einen waghalsigen Sport. Über 3.200 Fallschirmsprünge hat er schon absolviert, die meisten in seiner Spezial-Disziplin, dem Canopy Piloting.

„So nennt das bei uns aber keiner. Canopy Piloting heißt in der Szene nur Swooping“, erzählt Scherrinsky. Wenn sich Greifvögel auf Beutejagd befinden, bezeichnen Ornithologen deren Sturzflug, der kurz vor dem Boden rasant abgebremst wird, ebenfalls als „Swooping“. Nichts anderes machen die Fallschirmsportler, die aus 1.500 Metern Höhe nach unten springen, um knapp vor dem Erdkontakt diverse Prüfungen zu absolvieren. Scherrinsky, der früher sieben Jahre in einem Bergwerk unter Tage arbeitete, kann vom freien Fall nicht mehr genug bekommen. „Die meisten Fallschirmspringer, die neu dazu kommen, sind ganz heiß aufs Swoopen, das boomt richtig“, erzählt Scherrinsky, der in dieser Sportart zu den besten deutschen Athleten gehört und im Juli bei den World Games in Duisburg startet. Die Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten seien für ihn der Karriere-Höhepunkt, auch wenn er sich weit von einer Medaille entfernt sieht.

„Die Königsdisziplin“, sagt Scherrinsky, „ist das Distanzfliegen.“ Dabei müssen die Springer eine in einem Eingangstor befindliche Lichtschranke in 1,50 Meter Höhe durchqueren und dann möglichst weit über den Untergrund gleiten. Wie auch bei den World Games finden die meisten Wettbewerbe über dem Wasser in diversen Strandbädern statt. „Dadurch werden Stürze abgefedert“, sagt der einzige deutsche Teilnehmer.

„Die große Schwierigkeit ist es, das Eingangstor mit der Fußspitze in der richtigen Höhe zu treffen“, meint Scherrinsky, der dies jedes Wochenende übt und den aufwändigen Sport als Fallschirmlehrer für Tandemsprünge in seinem Marler Heimatverein finanziert. Über die Distanz liegt sein Bestwert bei 120 Metern. „Der US-Amerikaner Jonathan Tagle hat neulich in Florida mit 146 Metern einen neuen Weltrekord aufgestellt“, nennt Scherrinsky Vergleichszahlen. Ungewöhnlich ist das nicht, denn in Nordamerika gehört Swoopen zu den beliebtesten Sportarten. „Die haben optimale Wetterbedingungen und viel besseres Material“, meint der Marler.

Für ihn ist es eine Ehre, dass er bei den World Games gegen „echte Cracks“ wie Tagle antreten kann. „Dafür gebe ich mein letztes Hemd. Sonst springen solche Leute in einer anderen Leistungsklasse“, sagt Scherrinsky, der für die Qualifikation sogar sein Auto, einen VW-Caddy, verkaufte. Als einziger deutscher Teilnehmer musste er nur bei der letzten Weltmeisterschaft in Florida teilnehmen, um das Startticket zu erhalten. „Allein die Gebühr kostete 500 Euro, für Flug und Verpflegung musste ich ebenfalls bluten, aber das war es mir wert“, erzählt Scherrinsky, der in Florida den 32. Platz belegte: „Ich hatte Pech und tickte bei 7,50 Meter kurz ins Wasser, damit rutschte ich vom 14. Rang weit zurück.“ Trotzdem macht es im Spaß. Nur die Familie ist besorgt: „Mama ist noch etwas skeptisch, wenn ich vom Himmel stürze. Aber die werde ich auch noch überzeugen“, sagt er grinsend.

ROLAND LEROI