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Archiv-Artikel

Noch ein Stück mehr Europa in Kalifornien

Neben strengen Klimaschutzzielen sollen demnächst auch neue Standards für Chemikalien in Produkten gelten

WASHINGTON taz ■ Kalifornien bestätigt derzeit erneut seine Vorreiterrolle in der US-Umweltpolitik. Vergangene Woche verordnete Gouverneur Arnold Schwarzenegger per Dekret strenge Klimaschutzziele und distanzierte sich damit deutlich vom Nichtstun im Weißen Haus. Doch auch im Bereich gefährlicher Chemikalien wollen die Parlamentarier des Bundesstaates weitreichende Bestimmungen durchsetzen, um ihre Bürger vor Gesundheitsrisiken zu schützen.

Dabei steht eine Vielzahl von Produkten auf dem Prüfstand, vom Deoroller über Babyschnuller bis hin zu Plastikspielzeug.

Die Gesetzesvorschläge sollen Hersteller zwingen, die genaue stoffliche Zusammensetzung ihrer Produkte offen zu legen und jene Chemikalien auf Verpackungen zu deklarieren, die mögliche Gesundheitsrisiken darstellen. Firmen, die nicht umfassend informieren, sollen strafrechtlich verfolgt werden.

Konkret ist geplant, Chemikalien zu verbieten, die sich nachweislich im menschlichen Körper anreichern und vor allem ungeborenen Nachwuchs während der Schwangerschaft schädigen können. Zudem sollen Richtlinien für Substanzen verschärft werden, die in Produkten für Kinder bis zu drei Jahren verarbeitet und sowohl in Babyflaschen als auch Polstermöbeln verwendet werden. Kosmetikfirmen will man außerdem verpflichten, jene Stoffe in ihren Artikeln auszuweisen, die im Verdacht stehen, Krebs zu fördern. „Es gibt einen breiten Konsens unter Gesundheits- und Umweltexperten, dass unsere Bundesgesetze viel zu lax und schwammig sind. Schärfere Gesetze auf Staatenebene sind daher genau die richtige Antwort“, sagt Charles Warren, EX-Chef der US-Umweltbehörde EPA.

Nach Ansicht vieler Fachleute wurde in Amerika das Problem gesundheitsgefährdender Chemikalien bislang sträflich vernachlässigt, obwohl US-Firmen wie Procter and Gamble und Unilever ihre Produkte den höheren Standards auf dem europäischen Markt längst angepasst haben. „Kalifornien folgt nur dem Beispiel Europas, da sich die Bush-Regierung auch diesem Thema weiterhin verweigert“, sagt Joel Tickner von der University of Massachusetts. Die EU verbannte 2004 über eintausend chemische Stoffe aus kosmetischen Produkten und plant strengere Auflagen für Materialien in elektronischen Geräten.

Die Angst vor der „Europäisierung“ treibt Vertreter der chemischen Industrie in den USA auf die Barrikaden. Sie drohen wie gewohnt mit Geschäftsverlagerungen ins Ausland. Doch die Volksvertreter argumentieren, der öffentliche Druck sei, nicht zuletzt durch Schadensersatzklagen, mittlerweile so groß, dass ein konsequentes Handeln erforderlich sei. Ermutigt hat sie auch der Sieg über die Automobil-Lobby, deren millionenschwerer PR-Feldzug die strengen Emissionsstandards in Kalifornien nicht verhindern konnte. Bis 2010 soll der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen um elf Prozent auf den Stand von 2000 gesenkt werden, bis 2020 um 25 Prozent auf das Niveau von 1990. Die beschlossenen Reduktionsziele übertreffen gar die der fortschrittlichen Briten.

Sollten nun auch nur einige der Chemikalien-Gesetze Erfolg haben, gilt in Zukunft stärker das Vorsorgeprinzip. „Bislang lautet die Regel: Produkte werden erst auf Gefahren geprüft, wenn Probleme auftauchen“, sagt Shawn Collins, Verbraucheranwalt aus Chicago. Er vertritt Klienten, die durch toxische Substanzen in Produkten krank geworden sind. „Nun wird zumindest versucht, den Nachweis über Risiken vorher zu erbringen.“

MICHAEL STRECK