: Unser Leitmedium
FOTOWISSEN Neue Bücher zu Theorie und Praxis der Fotografie
■ Michael Fried: „Why Photography Matters as Art as Never Before“. Yale University Press 2008. 410 Seiten, 213 meist farb., teils ganzseit. Abb., 38 €
■ Peter Geimer: „Theorien der Fotografie zur Einführung“. Junius Verlag 2009. 227 Seiten, 14,90 €
■ Stephen Shore: „Das Wesen der Fotografie. Ein Elementarbuch“. Phaidon Verlag 2009. 133 Seiten, 86 S/W-Abb., 39,90 €
■ Roswell Angier: „Schärfe deinen Blick. Außergewöhnliche Porträtfotografie“. Addison-Wesley Verlag 2008. 224 Seiten, 39,95 €
VON BRIGITTE WERNEBURG
Das Leitmedium der bildenden Kunst ist heute die Fotografie, sagt Thomas Demand. Ein Ghetto der Fotografie innerhalb der bildenden Kunst existiere nicht mehr, meint auch der US-amerikanische Kunsthistoriker Michael Fried, der Thomas Demand in seiner neuesten Publikation, „Why Photography Matters as Art as Never Before“, ein ausführliches Kapitel widmet. Weshalb die Fotografie als Kunst so wichtig ist wie nie zuvor, liegt daran, dass wesentliche kunsttheoretische Fragestellungen, die früher an Malerei und Skulptur anknüpften, heute untrennbar mit der Fotografie verbunden sind. Die Verführung der 410 Seiten starken Abhandlung liegt nun darin, dass Fried mit seinen Überlegungen an allseits bekannte Publikumslieblinge wie Jeff Wall, Andreas Gursky, Beat Streuli, Thomas Ruff, Thomas Demand, Rineke Dijkstra oder Candida Höfer anknüpft, was den uneingeweihten Lesern die Lektüre seiner eigenwilligen Ausführungen doch einigermaßen erleichtert.
Sie gehen auf seinen berühmten Essay „Art and Objecthood“ (1967) zurück, in dem er gegen die von ihm „theatralisch“ genannte Minimal Art Stellung bezog, der es nicht um das Kunstwerk selbst gehe, sondern mehr um die Umstände, unter denen ihm der Betrachter begegne. Dagegen stellte er das „antitheatralische“, weil „in sich versunkene“ Kunstwerk, das nach Fried die Fiktion der Nichtexistenz des Betrachters erzeugt, wobei diese Fiktion wiederum erst der Kunst die Existenz in einer „andauernden und zeitlosen Gegenwart“ ermöglicht, die er als Kriterium künstlerischen Gelingens betrachtet. Exakt diese „antitheatralische“ Haltung beobachtet Fried nun im fotografischen Tafelbild, also jener wandfüllenden Farbfotografie, wie sie vor allem die Becher-Schüler Grusky, Ruff, Struth et al. berühmt gemacht haben.
„Why Photography Matters as Art as Never Before“ könnte zukünftig durchaus unter die „Theorien der Fotografie“ fallen, die Peter Geimer in der Junius-Reihe „Zur Einführung“ zu systematisieren sucht. Diese Theorien oder Theorieansätze, die Fotografie anhand ihrer spezifischen Eigenschaften zu beschreiben, hat der Privatdozent am kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Basel nun in fünf Kapitel geordnet, die jeweils einen Aspekt behandeln. Weil in dieser Systematik, die weder chronologisch noch nach Autoren sortiert, einzelne Texte mehrfach und an ganz verschiedenen Stellen auftauchen, entsteht leichthin die notwendige Redundanz, die es für das Textverständnis braucht. Gleichzeitig geht es nicht um simple Wiederholung, sondern um ein neuerliches Lesen der Texte unter einer neuen, anderen Fragestellung. Sei es nach der Bestimmung der Fotografie als Abdruck und Spur, sei es nach ihrer komplementären Deutung als codierte Botschaft und Konstrukt, sei es nach dem Verständnis ihrer Zeitlichkeit, ihrer Reproduzierbarkeit und ihrer Auslegung als Kunst.
Die Brillanz, die Geimer in der Art und Weise zeigt, wie er sein Thema organisiert, zeigt er auch im Detail. Etwa wenn er die knappen zeichentheoretischen Anmerkungen von Charles Sanders Peirce zur Fotografie und ihre weitreichenden Auslegungen in den Theorien der Fotografie untersucht. Bei ihm wird die Frage nach der Beziehung zwischen Abbildung und Abgebildetem wieder spannend – sie zu unterlaufen, wie es „Why Photography …“ tut, verfängt nicht, das Problem taucht auf der Ebene des Modells (Thomas Demand) oder der Inszenierung (Jeff Wall) sofort wieder auf.
Thomas Demands Werk „Spüle“ (1997) interessiert nicht nur Fried, sondern auch Stephen Shore, der sie in seinem „Elementarbuch“ über „Das Wesen der Fotografie“ abbildet. Der Originaltitel lautet 1998 allerdings „The Nature of Photographs: A Primer“. Tatsächlich handelt das Buch von Fotografien (vom Anfang der Fotografie bis heute) und nicht so sehr vom Fotografieren.
Stephen Shore, der in den 1970er-Jahren mit seinen Aufnahmen der sensations- und trostlosen Main Streets der amerikanischen Provinz Fotogeschichte schrieb, geht es darum zu zeigen, was geschieht, sobald die dreidimensionale Welt in die zweidimensionale Sphäre der Fotografie überführt wird, und welche Konsequenzen sich daraus für das Verständnis der je konkreten Fotografie ergeben.
Dafür stellt er auf der einen Buchseite je eine Aufnahme und auf die gegenüberliegende Seite platziert er einen kleinen Text, der im weitesten Sinne das zugehörige Bild erläutert. Gleichzeitig ist er aber Teil einer fortlaufenden Betrachtung zur Fotografie, die Shore ebenfalls in fünf Kapitel unterteilt hat. Demand taucht im Kapitel „Die materielle Ebene“ auf, in dem Shore zunächst auf ganz basale Weise den fotografischen Print untersucht: „Eine Fotografie ist flach, sie hat einen Rand, und sie ist statisch; sie bewegt sich nicht.“
Auch der Band „Schärfe deinen Blick. Portraitfotografie in Kontext, Theorie und Praxis“ des Fotografen und Literaturwissenschaftlers Roswell Angiers ist eine außergewöhnlich kluge Anleitung, Bilder zu betrachten und zu diskutieren. Es ist also alles andere als ein simples Lehrbuch der Porträtfotografie, zumal Angier noch eine konzise, kurze Geschichte der Fotografie und der dazugehörigen Texte und Theorien mitliefert.
Mit seinem anregenden Hybriden erfand er eine Art neue Buchsorte, den „TheorieundTechnikLehrbuchBildband“, der zu Recht mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2009 in Silber ausgezeichnet wurde.