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Archiv-Artikel

PRESS-SCHLAGBastion der Unbegabten

In der Innenverteidigung tummeln sich oft wenig ballgewandte Türstehertypen. Eine neue Generation von Verteidigern schickt sich an, dies zu ändern

Alexander Madlung musste nicht lange warten. Beim Nordgipfel gegen den Hamburger Sportverein erwies sich sein Konkurrent um die Position in der Defensive des VfL Wolfsburg als derart bundesliga-untauglich, dass der zuvor ausrangierte Madlung schon nach 38. Minuten aufs Feld durfte. Mit schweren Schritten stapfte der Ex-Herthaner auf den Platz, um den gegnerischen Angreifern das Fürchten zu lehren. Madlung bringt das mit, was im Anforderungsprofil eines klassischen Innenverteidigers zu lesen ist: groß, überaus kräftig und kantig, kopfballstark und ab und an in der Lage, einen Querpass erfolgreich zum eigenen Mann zu spielen.

An Alex Madlung lässt sich ablesen: Der Platz im Abwehrzentrum ist die letzte Bastion der fußballerisch Unterbemittelten! Während mittlerweile auf nahezu allen Feldpositionen mehr und mehr Spielertypen gefordert sind, die in ihrer Anlage die unterschiedlichsten Fähigkeiten vereinen, hat sich seit Etablierung der Viererkette der Typus des Innenverteidigers kaum gewandelt.Und dafür scheint gar ein hoch aufgeschossener Nachwuchsspieler in der Bundesliga zum Findling umgestaltet zu werden, wie im Fall Madlung. In Herthas Amateurmannschaft galt der heute 27-Jährige schnell als vielversprechendes Talent. Groß, dünn, ballsicher und dynamisch dirigierte Madlung sein Team auf der Sechs vor der Abwehr. Den Sprung in den Profifußball schaffte er 2002 allerdings als Abwehrspieler unter Huub Stevens, welcher für seine „Die Null muss stehen“-Maxime einen 1,90 Meter-Kerl suchte, der im Falle des Falls auch als Brechstange im Angriff für Torgefahr sorgen konnte. Nach und nach wirkte Madlung stämmiger, schwerer und weniger wendig. Als er 2006 nach Wolfsburg wechselte und im selben Jahr gar Nationalspieler unter Jogi Löw wurde, war vom einstigen spielstarken Defensiv-Allrounder nichts mehr übrig. Die Vorstellung, die Fußball-Deutschland bis heute von einem Innenverteidiger hat, ist in Alex Madlung inkorporiert. Dass vor der WM 2006 ein Spieler namens Robert Huth auf der Bildfläche erschien, kann so besehen nicht weiter verwundern.

Jogi Löw scheint diesen blinden Fleck im Zukunftsprojekt „moderner Fußball“ erkannt zu haben. Kein Madlung, kein Huth mehr, dafür ein junger Allround-Akteur, der mit seinen nahezu kompletten Voraussetzungen in den kommenden Jahren die etablierte Figur des Verteidigerhünen ablösen wird: Serdar Tasci. Der Deutschtürke kombiniert taktisches Geschick und intelligentes Stellungsspiel mit angemessener Härte, bringt seine technisches Fähigkeiten gezielt ins Aufbauspiel mit ein und sorgt so für ein beschleunigtes Umschalten von Abwehr auf Angriff. Tasci begann seine Karriere in der Stuttgarter Meistersaison als Außenverteidiger. Darin gleicht er einer weiteren deutschen Abwehrhoffnung: dem Hamburger Jérôme Boateng. Auch Boateng machte als Rechtsaußen in der Viererkette auf sich aufmerksam. Seit dieser Saison aber bietet ihn Bruno Labbadia als Innenverteidiger auf. Ebenso wie Tasci zeichnet sich der Ex-Berliner durch eine gute Ballbehandlung und Übersicht aus und ist jederzeit in der Lage, finale Pässe zu spielen.

Der deutsche Fußball ist im Wandel. Fast unbemerkt hat sich eine kleine Gruppe von Defensivspielern aufgemacht, den Posten des Innenverteidigers neu zu erfinden. Galt bisher der Türstehertyp als idealer Spielverderber, wird sich in naher Zukunft der Allroundkünstler im Zentrum der Abwehr etablieren.

Löw tut gut daran, diese fußballerische Revolution nicht, wie viele seiner Vorgänger, zu verschlafen. Denn zumindest Serdar Tasci ist für die Länderspiele gegen Südafrika und Aserbaidschan nominiert. Für Alex Madlung dagegen wird es eng werden. Vielleicht nutzt er die Gelegenheit und tritt unter falschem Namen als Kreativspieler auf. Abwegig wäre es das durchaus nicht: Unter Felix Magath versuchte auch Madlung sich tatsächlich dann und wann als Sechser. JÖRN MEYN