: Das Gesetz auf der Schulter
Von einsamen Sheriffs, rachsüchtigen Revolverhelden und anderen whiskeyseligen Outlaws: Tom Franklin hat mit seinem Debüt „Die Gefürchteten“ einen klassischen Westernroman geschrieben
Billy Waite fühlt sich zu alt für Heldentaten. Er ist seit dreißig Jahren Sheriff und verbringt die letzten Tage vor seiner Pensionierung auf seiner Veranda, mit einer Zigarre in der einen Hand und einem Glas Whiskey in der anderen. Zuerst wollte er die schlechten Nachrichten aus der entlegenen Siedlung Mitcham Beat ignorieren. Erst als immer neue Gerüchte über die Bande auftauchen, deren Mitglieder angeblich schwarze Kapuzen tragen, reisende Händler überfallen und die Häuser von Unschuldigen niederbrennen, sattelt der Sheriff schließlich doch sein Pferd. Schnell stellt er fest, dass in Mitcham Beat offenbar jeder weiß, wer hinter den Überfällen steckt, aber niemand darüber sprechen will. Billy Waite steht allein da.
Clint Eastwood wäre die richtige Besetzung für diesen in die Jahre gekommenen Sheriff mit seinen Kreuzschmerzen und zitternden Händen, und tatsächlich hatte der Schauspieler zunächst Interesse an den Rechten zu Tom Franklins Romandebüt „Die Gefürchteten“ angemeldet.
Filmreif ist die Landschaft Alabamas, die Billy Waite mit seinem Pferd durchquert, auf jeden Fall: weiße Baumwollfelder, verborgene Flusstäler und dunkle Wälder, in denen die Schwarzbrenner ihre Destillierapparaturen verstecken. Die Farmer leben unter ärmlichen Bedingungen und bald schlägt ihr Hass auf die Reichen in der nächsten großen Stadt in Gewalt um: „Glaubt ihr, dass diese üblen Schweine aus Grove Hill hier rauskommen zu uns, wenn die wissen, dass hier eine Bande von noch übleren Schweinen auf sie wartet?“, hatte der habgierige Ladenbesitzer Tooch Bedsole in die kleine Männerrunde gefragt, die sich noch in der gleichen Nacht unter dem Einfluss einer Flasche Whiskey zu Outlaws erklärten. „Wir packen das Gesetz an den Schultern und schütteln es mal kräftig durch.“
Hier haben wir also einen einsamen Sheriff, den guten alten Konflikt zwischen „town“ und „country“, und dann setzt auch noch ein ziemlich übler Revolverheld zu einem ganz persönlichen Rachefeldzug an: Man könnte sagen, dass Tom Franklin mit „Die Gefürchteten“ einen klassischen Westernroman geschrieben hat – wenn es so etwas überhaupt gibt. Bislang galt das vom Kino beherrschte Genre nämlich nur als bedingt literaturfähig. Natürlich füllen die zahllosen Reihen mit Groschenheften wie „Lassiter“ oder „G. F. Unger“ immer noch die Regale im Bahnhofsbuchhandel, aber „seriöse“ Werke sind eher selten: Michael Ondaatje stilisierte in seinem Erstling „Die gesammelten Werke von Billy the Kid“ (1970) den Revolverhelden zum tragischen Serienmörder, Cormac McCarthy rechnete in seiner „Grenzland“-Trilogie (1992 ff.) mit dem Mythos des Wilden Westens ab und zeigte die Schattenseite des vermeintlich abenteuerlichen Lebens der Viehdiebe und Underdogs, und Robert Coover beschwor in seinem postmodernen Roman „Die Geisterstadt“ (1998) die Gespenster der alten Zeit mit Filmzitaten.
Es wäre falsch, „Die Gefürchteten“ in diese kurze Traditionslinie zu stellen. Tom Franklin versucht gar nicht erst den ganz großen literarischen Entwurf, sondern erzählt einfach nur in einem ruhigen und direkten Tonfall die blutige Geschichte einer Räuberbande in Alabama – die auf einer tatsächlichen Begebenheit aus dem Jahre 1898 beruht. Im Gegensatz zu den gängigen Hollywood-Western vermeidet er allerdings die scharfen Gegensätze von Gut und Böse. Seine Figuren operieren alle in einer moralischen Grauzone: „Spiel mir das Lied vom Tod“ wäre die richtige Film-Bezugsgröße, oder Sam Peckinpahs große Tragödie „Wild Bunch“.
Als Billy Waite, der sich immer wieder mit ein paar Gläsern Schwarzgebranntem Mut antrinken muss, den Männern mit den schwarzen Kapuzen endlich auf der Spur kommt, ist das Spiel von Rache, Schuld und Gerechtigkeit schon so weit fortgeschritten, dass es nur noch in einer Katastrophe enden kann. Ein Lynchmob macht sich auf in die dunklen Wälder von Mitcham Beat, und bald färben sich die weißen Baumwollfelder rot.
Für Clint Eastwood war dieses Ende übrigens zu viel. Der Roman sei ihm zu brutal, begründete er seine Entscheidung, die Filmrechte lieber doch nicht zu kaufen. Verdammt, Sam Peckinpah hätte keine Sekunde gezögert, einen Film aus diesem Buch zu machen. Aber die Guten sind eben alle längst schon tot. Fast alle. KOLJA MENSING
Tom Franklin: „Die Gefürchteten“. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2005, 416 Seiten, 21,90 Euro