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Archiv-Artikel

Gemütlichkeit im Dagegensein

Rot-Grün, wir danken dir (10): Immerhin die theorieschwache Linke kann sich jetzt von der CDU retten lassen – toll!

Rot-Grün verdanken wir die weit gehende Selbstabschaffung der außerparlamentarischen Linken. Obschon diese Regierung dieser Linken nie auch nur ein bisschen entgegengekommen ist.

Gerhard Schröder ist ein Patriarch der alten Schule. Frauen sind für ihn lediglich da, damit man ihnen die Tür aufhalten kann. Nicht anders Joschka Fischer, auch er schmückt sich eher mit Frauen und Freundinnen, als dass er sie ernst nimmt. In Fragen der Umweltpolitik sind beide Parteiführer ebenfalls eher desinteressiert, im Gegensatz zum Autokanzler muss der einst erste grüne Umweltminister auf Landesebene allerdings aus Rücksicht auf die WählerInnen der Grünen zumindest Lippenbekenntnisse abgeben. Die Außenpolitik begreifen sie in einer Weise als eine bewaffnete, dass selbst solchen Scharfmachern wie Volker Rühe die Spucke wegbleibt.

Zum Irakkrieg allerdings, als deutsche Wirtschaftsinteressen gefährdet waren, verhielten sie sich anders als in Serbien/Kosovo und in Afghanistan. Wurden zur Rechtfertigung des ersten Kampfeinsatzes in der Geschichte der Bundeswehr noch der Antifaschismus parodiert (und mit der Aussage „Nie wieder Auschwitz“ auch der Holocaust relativiert), gab man sich im Jahr 2003 als unbedingter Pazifist. Den Gewerkschaften präsentierten sich die rot-grünen Patriarchen längst nicht mehr als Partner, den Hartz-IV-Protest auf der Straße ignorierte man einfach ganz.

Dennoch klammerte sich ein großer Teil der radikalen Linken an diese Regierung, indem sie den Dialog suchte – stets wurde mit jenen gesprochen, die einst, in den 70ern und 80ern das gleiche Vokabular verwendet hatten, wurde über Kapitalismus gewettert, für die Umwelt und gegen die Castoren protestiert, es wurde ostermarschiert und manchmal sogar die Internationale gesungen, und immer liefen Fans oder sogar Vertreter der rot-grünen Regierung mit.

Die radikale Linke merkte nicht, dass sie veralbert wurde. Dass ein Thierse auf einer Antikriegsdemo zwar gegen die USA protestiert, doch zugleich für die herrschende Politik. Dass sich ein Ströbele, der im Bundestag zumeist ein Nein ankündigt und eine Jastimme abgibt, vielleicht nur aus nostalgischen Gefühlen oder aber, schlimmer, aus populistischen Erwägungen gegen eine Hausräumung oder gegen Sozialabbau ausspricht, jedoch nur selten wirklich interveniert. Das alles ist dem überwiegenden Teil der außerparlamentarischen Linken nicht wirklich klar geworden. Sie hat, aus theoretischer Schwäche und ihrer Routine heraus, stets das Gleiche gefordert und nicht bemerken wollen, wie die rot-grüne Regierung, deren Reden und Gesten mehr an das Gemüt als den Verstand appellierten, zwar „linke Begriffe“ benutzte, zugleich aber deren Phrasenhaftigkeit ausnutzte.

Über sieben Jahre haben sie sich vorführen lassen, und bis heute glauben sie, das größere Übel trage Schwarz und sei eine Frau.

Dabei ist die CDU die einzige Rettung dieser Leute – sie macht die parlamentarische Linke, heißt sie nun Stiegler, Nahles oder vielleicht sogar wieder Lafontaine attraktiv für eine Linke, die keine Begriffs- und Theoriearbeit will, sondern Gemütlichkeit in einem gemeinschaftlichen Dagegensein. Für diesen Teil der radikalen Linken sind die Neuwahlen ein einziger Glücksfall. JÖRG SUNDERMEIER