: Familie ist Schicksal
Franz Müntefering besucht das Marx-Haus in Trier: Seit Willy Brandt hat sich das kein SPD-Chef mehr geleistet
Es ist wie mit dem Hasen und dem Igel: Wo Franz Müntefering dieser Tage auch hinkommt – die Vergangenheit ist schon da. Der SPD-Chef hat das Marx-Haus in Trier noch nicht verlassen, da stellen sich ihm zwei Männer in den Weg: der Präsident der ältesten Trierer Karnevalsgesellschaft, der „KG Heuschreck“, und ein Kompagnon. Dass ein Besuch im frisch sanierten und mit neuer Dauerausstellung eingerichteten Geburtshaus von Karl Marx seine ganz eigene Symbolik entfalten würde, war auch Müntefering bewusst; er hat denn auch gezögert, ob er die Einladung der parteinahen Ebert-Stiftung überhaupt annehmen soll.
Aber dann nutze er den Auftritt am Donnerstagabend gerne: um sich von Marx zu distanzieren. Für die Sozialdemokratie sei Marx „nicht prägend“ gewesen, ließ er zum Beispiel wissen. Marx und die SPD – bei Müntefering klingt das wie „Familie ist Schicksal“. Von einer „gewissen Fremdheit, vielleicht auch Verklemmtheit“ im Verhältnis spricht der Sozialdemokrat gar, und davon, dass das Geburtshaus des Philosophen „keine Weihestätte“ oder gar „Ruhmeshalle“ werden dürfe. Kurt Beck, der bereits als Müntefering-Nachfolger gehandelt wird und sich an diesem Tag als Pfälzer Frohnatur versuchte, wirkte in der Tat verklemmt: Er sei nicht etwa gekommen, weil er einen Bart trage, so sein Versuch, eine Pointe zu konstruieren, sondern weil er rheinland-pfälzischer Ministerpräsident sei. Spätestens jetzt war jedem klar, dass ihm Marx und Mopsfledermäuse gleich viel bedeuten.
Unterdessen geriet die Festansprache von Müntefering zur Wahlkampfrede, ungeachtet der anwesenden schwarzen Lokalprominenz. Marx’ größter Fehler sei es gewesen, dass er „die soziale Leistungskraft des demokratischen Staats unterschätzt hat“, legte er los, um dann wenige Augenblicke später bei Praxisgebühr und Saatkartoffeln zu landen. Marx habe „zwar die richtigen Fragen gestellt, aber die falschen Antworten gegeben“.
Dabei könnten einige der Antworten von Marx und Engels sogar für einen Franz Müntefering hilfreich sein: „Je großartiger die Sache wird“, so steht auf den Wänden des Marx-Hauses zu lesen, „desto wichtiger, dass Du sie in der Hand behältst.“ Und die Gegenwart hat Müntefering wieder. MARCUS STÖLB