: Italienisch für Anfänger
Wer die politischen Verhältnisse in Deutschland für verquer hält, der sollte nach Rom blicken und von den viel zitierten „italienischen Verhältnissen“ lernen, dass keine politische Allianz unkündbar ist
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Ja, liegt Berlin jetzt doch am Tiber und nicht mehr an der Spree? Da ist ein Kanzler, der sich vorgezogene Neuwahlen wünscht. Er vertut sich bei Uhrzeiten wichtiger Telefonate ebenso wie bei der Identifizierung derer aus den eigenen Reihen, die ihm das Regieren unmöglich machen. Münte schiebt den Grünen flugs den schwarzen Peter zu, aber Joschka will den Black Jack nicht haben.
Da ist eine SPD, die sich plötzlich angeblich Gedanken macht, ob es nicht doch bis 2006 noch geht, und ein Präsident, der dem Vernehmen nach verstimmt ist. Und schließlich ist da noch die WASG, vielleicht mit Lafontaine, die an der Seite der PDS das politische Angebot mit einer neuen Linkspartei bereichern will. Kurzum: Es herrschen fast italienische Zustände. Rochieren, Tricksen und Täuschen – zum Grausen der Medien und Bürger.
Doch wovor eigentlich? Gewiss, Deutsche haben es gern stabil, egal ob D-Mark, Euro oder Politik. Stabil, überschaubar und möglichst auch gesittet. Darf der Kanzler das? So mit dem Präsidenten umspringen? Und was stellen denn SPD und Grüne miteinander an? Immerhin das frühere Dreamteam „Rot-Grünes Projekt“? Und muss das sein? Noch mehr Zersplitterung, noch eine Partei am linken Rand, wo doch schon genug Parteien im Bundestag sitzen?
Bei so viel Sorge können Italiener nur müde lächeln. Schließlich gibt es in der Politik keine Wahrheit, sondern bloß Versionen. Da erzählt Ministerpräsident Berlusconi ungerührt, Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi habe ihm das neue, sehr Berlusconi-freundliche Mediengesetz gleichsam aufs Auge gedrückt. Natürlich hat Ciampi das Gespräch der beiden ganz anders in Erinnerung. Da erzählt der Regierungschef bei der letzten Regierungskrise, er könne leider dank Präsidenten-Nein nicht zurücktreten – und reicht dann zwei Tage später doch den Rücktritt ein, ganz ohne Ciampi-Veto.
Überhaupt die Krise. Deutschland hat es in fast 56 Jahren auf gerade sieben Kanzler und bisher zwei vorzeitige Parlamentsauflösungen gebracht – Italien dagegen ist irgendwo bei der 54. Nachkriegsregierung und hat beispielsweise zwischen 1992 und 1996 gleich dreimal gewählt. Auch auf diesem Feld wollte Berlusconi als wahrer Revolutionär in die Geschichte eingehen: Bei seinem Wahlsieg 2001 versprach er keck, er werde die ganze Legislatur mit dem gleichen Kabinett ohne Krise durchregieren. Daraus wurde dann nichts: Nach gut vier Jahren – immerhin absoluter Rekord – ereilte auch ihn die „crisi“ mit ihren schönen Ritualen.
Womit wir beim Dolchstoß und seinen Legenden wären. Auch Italiens Koalitionen führen sich gern als „Projekt“ auf, als verschworene Schicksalsgemeinschaft, Berlusconis „Haus der Freiheit“ genau wie das oppositionelle „Ölbaumbündnis“ unter Romano Prodi. Bloß glauben tut es keiner – weil die Politiker ihr Bestes geben, dem schönen Schein das profane Sein einer sich zünftig, offen und ausdauernd streitenden Allianz von Intriganten an die Seite zu stellen. An den Stimmen der Opposition ist in Italien noch so gut wie keine der über 50 Regierungen gescheitert – wohl aber am (von Kanzler Schröder jetzt so heftig herbeigesehnten) Missmut in der eignen Truppe. Da sägt 1998 der Linksdemokrat Massimo D’Alema den Ministerpräsidenten Romano Prodi ab – und Prodi revanchiert sich galant, indem er D’Alema bis zu dessen Rücktritt zwei Jahre später das Leben zur Hölle macht. Da einigt sich die Opposition 2004 auf Prodi als alten-neuen Spitzenkandidaten für die Wahl 2006 – und beginnt diesmal schon vor dem Wahlsieg mit der Demontage. Dafür rächt sich Prodi dieser Tagen, indem er seinem bündnisinternen Intimsfeind Francesco Rutelli die Spaltung der Partei „La Margherita“ ankündigt – natürlich um dann 2006 gemeinsam gegen Berlusconi anzutreten. Spaltungen – nach dem Motto: Getrennt marschieren, vereint auf den Gegner und auf sich selbst einschlagen – sind nämlich auch kein Drama. Was regt sich die SPD so über auf die WASG? Sie sollte lieber schon mal Verhandlungen aufnehmen – selbstverständlich über gemeinsame Perspektiven gegen rechts. So hält man es in Italien.
Da spaltete sich 1991 die Linke, als die glorreiche KPI sozialdemokratisch werden wollte. Die Nochkommunisten gründeten ihren eignen Laden –und spalteten sich dann ihrerseits 1998. Das Ergebnis: Jedes Wählergusto wird bedient – neben den Linksdemokraten gibt es gleich zwei kommunistische und eine sozialistische Partei, natürlich alle „verbündet“ in der Prodi-Koalition. Die kommt insgesamt auf neun Parteien, womöglich demnächst auf zehn. Schon werden Wetten abgeschlossen auf die erste Krise der noch gar nicht gewählten Regierung Prodi, irgendwann im Herbst 2006.