: Herrn K.s Gespenst
Es geht ein Gespenst um bei den Grünen in Baden-Württemberg, das Gespenst des Kommunismus. Gerufen hat es der Ministerpräsident persönlich, und zwar in einem SWR-Interview vor großem Fernsehpublikum. Nicht nur Berufsverbotsopfer wie die Esslinger Lehrerin Sigrid Altherr-König und die GEW sind geschockt, sondern auch etliche Grüne
von Hermann G. Abmayr
Vor wenigen Tagen in der Maske des SWR: das Land feiert seinen 60. Geburtstag, und der erste grüne Ministerpräsident trifft an diesem 25. April 2012 eine seiner ersten Schülerinnen wieder. Der Visagistin, die sein Gesicht pudert, hatte er Ende der 70er-Jahre Chemie und Physik beigebracht. Damals unterrichtete Kretschmann an der privaten Stuttgarter Kosmetikschule, da der Staat den jungen Pädagogen nicht einstellen wollte. Grund: Er war als Student der Universität Stuttgart-Hohenheim von einer katholischen Verbindung zu den Weltverbesserern des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) konvertiert, galt damit als Verfassungsfeind und war von Berufsverbot betroffen.
Vor dem Fernsehpublikum des SWR lobt der MP jetzt „die berühmt-berüchtigte 68er-Bewegung“, da sie „aus einer Honoratiorenrepublik eine lebendige Demokratie gemacht hat“. Das gehöre „zu den wirklich schönen Zeiten“ seines Lebens, in denen er viele Erfahrungen gemacht habe, positive wie negative, Erfahrungen, die er nicht missen möchte. Aber die Zeit des Berufsverbots sei „natürlich eine schwierige“ gewesen, sagt der ehemalige Mao-Jünger, der damals ein junger Familienvater war.
Das galt auch für die Grund- und Hauptschullehrerin Sigrid Altherr-König. Wie Kretschmann war sie eine gläubige Parteikommunisten „mit Tunnelblick“ (Kretschmann über seine Sicht der Welt in jener Zeit). Doch die beiden gehorchten nicht demselben „linken Vatikan“. Altherr-König blickte nach Moskau (und Ostberlin), Kretschmann nach Peking (und inzwischen wieder nach Rom). Im Gegensatz zu dem zweifachen Konvertiten benötigte Altherr-König 13 Jahre, bis das Land Baden-Württemberg ihre Verfassungstreue anerkannte. In diesen Jahren hielt sich die alleinerziehende Mutter in einem Halbtagsjob als Industriekauffrau über Wasser. Erst seit 1996 darf die heute 58-Jährige wieder unterrichten.
Keine Kommunisten im Staatsdienst
Kretsch, wie ihn viele damals nannten, wurde schon innerhalb eines Jahres zum „staatlich anerkannten Verfassungsfreund“, wie er vor laufender SWR-Kamera süffisant berichtet – gut geschminkt von seiner ehemaligen Schülerin. Als er dann auf die damalige „Atmosphäre der Schnüffelei“ zu sprechen kommt, freut sich Sigrid Altherr-König. Sie hofft, dass der ehemalige Kollege nun bald die beiden Briefe beantworten wird, die sie ihm geschrieben hatte – zusammen mit Klaus Lipps (Berufsverbote), Michael Csaszkóczy, Lothar Letsche und Werner Siebler.
Doch dann der erste Schock: Kretschmann betont, „dass wir jetzt nicht Kommunisten in den Staatsdienst lassen, daran hat sich sicher nichts geändert“. Sie sei über diesen Satz entsetzt gewesen, sagt Altherr-König. Zumal die Lehrer Kretschmann wenige Tage zuvor bei der GEW-Landesdelegiertenversammlung eine Duckmaus überreicht hatten, das Symbol der früheren Bewegung gegen die Berufsverbote. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte die Landesregierung aufgefordert, die Berufsverbotsopfer zu rehabilitieren und zu entschädigen.
Zwar blieb Kretschmann bei seinem GEW-Auftritt eine Antwort dazu schuldig. Doch für die meisten Delegierten dürfte klar gewesen sein, dass das langjährige GEW-Mitglied zumindest große Sympathien für ihre Forderung haben müsste. Schließlich hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon 1995 bei der Klage einer entlassenen verbeamteten Lehrerin festgestellt, dass der Radikalenerlass einen Verstoß gegen die Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.
Und dann der zweite Schock: auf die Frage nach der Rehabilitierung weicht der MP aus. „Das muss man im Einzelfall prüfen“, sagt er im Interview, als ginge es um eine falsche Umsetzung des Radikalenerlasses und nicht ums Prinzip. Jetzt gehen dem ehemaligen DKP-Mitglied Sigrid Altherr-König Kretschmanns Sätze über die Kommunisten nicht mehr aus dem Sinn. Wer mag damit wohl gemeint sein – über zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, fragte sie sich. Kretschmanns frühere Genossen, die KP-Leute aus China, seien in Deutschland inzwischen jedenfalls hochwillkommen. Aber vielleicht sei der MP „ja nur übermüdet gewesen“, schränkt die Pädagogin ein. Und das dürften auch die Grünen hoffen, die sich seit Jahren für die Opfer der Berufsverbote einsetzen.
Zum Beispiel die grüne Ludwigsburger Bundestagsabgeordnete Ingrid Hönlinger. Es wäre „ein anständiger Zug“, sagt die Rechtsanwältin und langjährige Amnesty-International-Aktivistin, „sich für das Unrecht, das durch den Radikalenerlass an den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern begangen wurde, zu entschuldigen“. Hönlinger fordert wie die GEW, dass die Betroffenen rehabilitiert und die Unterlagen des Verfassungsschutzes zugänglich gemacht werden. Dies ist auch die Position der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Vorbild Bremen: Opferwerden rehabilitiert
Ähnlich sieht es die rot-grüne Koalition in Bremen. Dort hat die Bürgerschaft (Landtag) den Senat (Landesregierung) mit den Stimmen der CDU aufgefordert, die „Richtlinien über das Verfahren bei der Festlegung des Erfordernisses der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst“ vom Februar 1983 aufzuheben, was mittlerweile geschehen ist. „Wir ziehen damit den Schlussstrich unter ein verfassungsrechtlich äußerst fragwürdiges Verfahren“, begründete die grüne Bürgermeisterin Karoline Linnert den Beschluss. Als Senatorin für Finanzen hat die Kollegin des baden-württembergischen Finanzministers Nils Schmid (SPD) mit den Betroffenen bereits erste Gespräche über eine mögliche Entschädigung geführt.
Denn auch wenn die Mehrzahl der Verdächtigten mit der Zeit neue Wege ins Berufsleben fanden, viele spüren die Folgen des Radikalenerlasses bis heute. Zum Beispiel, wenn Dienstjahre nicht anerkannt werden, was Einbußen bei der Rente oder bei der Pension zur Folge hat. Doch auch damit soll in Bremen nun Schluss sein: „Wir begrüßen es sehr, dass der Senat nicht nur eine klare politische Rehabilitation verspricht, sondern auch diese kleinlichen und demütigenden Benachteiligungen aufheben will“, sagte der Grünen-Abgeordnete Hermann Kuhn, der einst wie sein damaliger KBW-Genosse Winfried Kretschmann selbst von dem Berufsverbot betroffen war.
„Davon sind wir in Baden-Württemberg noch weit entfernt“, sagt Sigrid Altherr-König, der 13 Jahre für ihre Pension fehlen. Doch sie will trotz der jüngsten Kretschmann-Äußerung nicht aufgeben. Die GEW steht hinter den Betroffenen. Landesvorsitzende Doro Moritz fordert eine „umfassende Rehabilitierung“ und eine Entschädigung der Opfer. „Da werden wir nicht lockerlassen.“