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Archiv-Artikel

Eine Reise ins Unsichtbare

Von den früher so zahlreichen Frauenklöstern ist in Köln nicht mehr viel übrig. Aber wie die Nonnen lebten, kann Hiltrud Kier vom Förderverein romanischer Kirchen auch so anschaulich erzählen

Zeit für Trödelei ist nicht, schließlich will man knapp zwanzig Klöster in vier Stunden schaffen

VON CLAUDIA LEHNEN

Ein Antennenturm streckt seine vielen dünnen Ärmchen in den wolkigen Himmel. Der karamellfarbene Klinker ist schmucklos, allein im obersten Geschoss wachsen einige Geranien in Blumenkästen. Hinter den mit Reklameschrift beklebten Schaufensterscheiben warten Parterre eine Bäckerei, ein Reisebüro und „Coiffeur Kenarci“ auf Kundschaft. Dicht gedrängt stehen auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwa 200 Menschen und bemühen ihre Phantasie.

Es ist eine Reise in eine nahezu unsichtbar gewordene Welt, die die Besucher um Hiltrud Kier angetreten haben. Auf den Spuren von Frauenklöstern wandern die meist weiblichen Teilnehmer durch die Altstadt von Köln. In der Regel gibt es, wie im Fall von St. Reinhold am Mauritiussteinweg, keine steinernen Zeugen für die Geschichten, die Kier erzählt.

Einstmals wären die Kirchen in Köln so zahlreich gewesen, berichtet die Professorin für Kunstgeschichte an der Uni Bonn, wie die Tage eines Jahres. Und die Anzahl der Klöster, deren Belegschaft ausschließlich weiblich gewesen sei, habe die Hälfte bei weitem überstiegen. „Allein die 160 Beginenkonvente und 35 Hospitäler waren ausschließlich in Frauenhand“, sagt Kier, die im Vorstand des Fördervereins für romanische Kirchen Kölns sitzt.

Erst im Zuge der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts seien diejenigen Klöster, die nicht der Krankenpflege oder dem Unterricht gedient hätten, aufgelöst worden. Auch St. Reinhold wurde nach dem Bericht Kiers im 19. Jahrhundert nicht mehr gebraucht. Es wurde komplett abgerissen. Deshalb ducken sich heute eckige Fenster, wo sich einst Spitzbögen in den Himmel reckten.

Manchmal finden sich aber doch noch Spuren der Vergangenheit. Zum Beispiel der Römerturm, der bis ins 12. Jahrhundert die westliche Stadtecke Kölns bewachte. Mit Mikrofon und Verstärkeranlage hat sich Kier auf einen Randsteinpoller gestellt und erzählt, wie es dazu kam, dass gerade dieser dickwandige Turm von der Modernisierungswut verschont blieb.

„Er eignete sich hervorragend als gemeinsame Toilettenanlage. Er war die Cloaca maxima der Franziskanerinnen“, sagt Kier. So wurde das martialische Symbol der Römerzeit im 14. Jahrhundert zu einem stillen Örtchen für Nonnen. Heute hat eine Galerie den Raum von der Stadt gemietet, zwischen den Zinnen wuchert gelber Ginster.

Der Menschenwurm eilt weiter durch die Straßen. Zeit für Trödelei ist nicht, schließlich will man knapp zwanzig Klöster in vier Stunden schaffen. Manch agile Mittfünfzigerin spricht atemlos, aber lächelnd von „Frühsport“, ein weißhaariger Herr stolpert am Arm seiner Gattin hinterdrein. „Es ist äußerst lehrreich. Außerdem bin ich noch gut zu Fuß“, weist er jeglichen Verdacht körperlicher Ermüdung von sich.

Im Sancta Clara Keller, dem Überbleibsel des einstigen Klarissenklosters, gibt es für die ersten hundert Hurtigen einen Stuhl. In dem Gewölbekeller lagerten die Nonnen nach Auskunft Kiers einst ihre Vorräte. Darüber, in der heutigen Eingangshalle des Architekturbüros von Kaspar Kraemer, dessen Vater den Keller in den 70er Jahren von der Stadt gekauft hat, wurden vor hunderten von Jahren dampfende Schüsseln gereicht. „Hier war mit hoher Wahrscheinlichkeit der Speisesaal der Klarissen“, sagt Kier.

Bei diesem Stichwort packen einige Männer und Frauen mitgebrachte Brote aus, vor St. Maria in der Klostergasse spendiert eine ältere Dame eine Runde Bounty. Einer Frau mit weißen Haaren sind die Appetithappen nicht genug. Nach zweieinhalb Stunden Klosterkost steht ihr der Sinn nach leiblichem Genuss. „Ich geh‘ ins Dinea. Lass uns dort um ein Uhr treffen“, schlägt sie einer Freundin vor, die noch weiter der Führung folgt: Die Mariengartenkirche, das Krankenhaus der Vinzentinerinnen, St. Ursula, St. Makkabäer und die Ursulinenkirche stehen noch auf dem Programm.