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Archiv-Artikel

SPD will Heuschrecken jetzt auspressen

Führende Politiker verlangen plötzlich höhere Löhne und Gehälter – nach jahrelangen Appellen zur Enthaltsamkeit

BERLIN dpa/taz ■ Pünktlich zum Kapitalismus-Kongress der SPD am heutigen Montag haben führende Sozialdemokraten ihre Kritik am Unternehmerlager verschärft und auch in der Tarifpolitik eine Kehrtwende zurück an die Seite der Gewerkschaften eingeleitet.

Die SPD-Minister Wolfgang Clement und Hans Eichel sowie Parteichef Franz Müntefering regten mit Blick auf höhere Unternehmensgewinne und die weiterhin flaue Binnenkonjunktur überraschend arbeitnehmerfreundliche Tarifergebnisse an. Die Tarifparteien seien für die Nachfrageseite mitverantwortlich, schrieb Wirtschaftsminister Clement in einem Zeitungsbeitrag. „Dort, wo es – wie in der Stahlbranche – wirtschaftlich vertretbar ist, sollten angemessene Einkommensverbesserungen realisiert werden.“ Müntefering sagte am Samstag auf dem Bundeskongress der Jusos in Leipzig (siehe oben): „Deutschland ist Hochlohnland und muss das auch bleiben wollen. Die Linie der Niedriglohnstrategie ist falsch.“ Arbeitnehmer müssten auch an Gewinnen teilhaben.

Finanzminister Eichel, für den höhere Löhne auch höhere Einnahmen bei den seit längerem rückläufigen Einkommensteuern bedeuten würden, sagte: „Die deutsche Wirtschaft ist wieder unheimlich wettbewerbsfähig – nicht zuletzt, weil wir seit zehn Jahren eine sehr gemäßigte Tarifpolitik haben.“ Nun erzielten die Unternehmen aber hohe Gewinne.

Trotz des Vorstoßes aus Regierung und SPD-Spitze hielten sich die Gewerkschaften am Wochenende mit Kommentaren auffallend zurück. Dem Vernehmen nach wird befürchtet, dass die Vorschläge der Minister lediglich auf Einmalzahlungen für die Beschäftigten in florierenden Branchen abzielen. Auch die Arbeitgeber kommentierten den Kurswechsel kaum. Lediglich Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer warnte, man müsse den Zusammenhang zwischen Lohnerhöhungen und Arbeitsplatzverlusten „stets im Auge behalten“.