Gesellschaft: Birte spielt nicht mehr mit
Christine Prayon alias Birte Schneider tritt nicht mehr in der „heute-show“auf. Welke & Co. machten „Stimmunggegen Andersdenkende“, kritisiert die Kabarettistin. Mit einer Satire, diekeinen Diskurs mehr zulasse, könnesie nichts anfangen, sagt Prayon imGespräch mit Kontext.
Von Susanne Stiefel
Erst war da Corona, und als die Bühnen wieder bespielt wurden, hat das Virus sie erneut ausgebremst. Heute muss Christine Prayon immer wieder einen Auftritt absagen, weil sie mit den Symptomen zu kämpfen hat, von denen sie nicht weiß, ob sie von ihrer Impfung kommen oder von einer Corona-Erkrankung. Schlaflosigkeit, Herzrasen, Muskelzittern, depressive Schübe – und keiner kann ihr sagen, was sie machen soll. Deshalb macht die 49-Jährige langsam und schreibt derzeit ihre Erfahrungen mit der Krankheit auf. Schonungslos und offensiv, keine Betroffenheitsliteratur. Demnächst wird das Buch erscheinen.
Frau Prayon, 16 Jahre lang haben Sie in Stuttgart gewohnt. Was hat Sie nach Karlshorst verschlagen, hier in den Osten Berlins?
Mein Mann kommt von hier und wir sind quasi Klimaflüchtlinge. Wir haben in Stuttgart im Kessel gewohnt, im vierten Stock unterm Dach, und im Sommer hab‘ ich gedacht, ich sterbe. Wir mussten umziehen, und innerhalb Stuttgarts muss man ja Geld haben, um auf der Halbhöhe zu wohnen, wo es klimatisch erträglich ist.
Losgelassen hat Sie die Schwabenmetropole nicht. In Ihrem aktuellen Programm/Buch „Abschiedstour“ gibt es eine Szene, in der in ganz Deutschland mit Freudenfeiern die Überwindung des Kapitalismus gefeiert wird. Nur in Stuttgart wird das Feuer von einem Reinigungstrupp gelöscht.
Den Witz hab‘ ich bei der CSD-Kundgebung in Stuttgart wirklich erlebt. Ich stand in der Eberhardstraße, alle tanzten und waren ausgelassen, und als der letzte Wagen vorbeizog, kam direkt dahinter schon der Kehrwagen und machte sauber. Ich hab‘ so lachen müssen. Nicht mal das kriegen sie hin, dass sie sagen, heute ist mal gut, heute sind wir mal anarchisch. Nein, dahinter musste sofort die Party gekärchert werden. Also gerne Revolution, aber danach bitte sauber machen.
Sie spielen dabei auch auf den Protest gegen Stuttgart 21 an, der weggespritzt wurde. Mitverantwortlich war Tanja Gönner, die Sie parodiert haben. Die Verkehrsministerin war Ihre Eintrittskarte für die „heute-show“.Ihr letzter Auftritt war im September letzten Jahres. Was ist passiert?
Ich habe die Zusammenarbeit mit der „heute-show“ beendet. Ich bin lange nicht aufgetreten wegen meiner Post-Vac-Erkrankung, aber ich habe deswegen keine Sendung verpasst. Die „heute-show“ hat sich geändert. Ich bin seit 2011 dabei gewesen und habe das sehr gerne gemacht. Aber ich muss mich identifizieren können mit einer Rolle, das ist eine politische Satiresendung und keine Rolle wie im Tatort. Und das muss sich schon mehr oder weniger mit dem decken, was ich als Christine Prayon auf der Bühne mache.
Warum passt das nicht mehr zusammen?
Ich habe mit der Art, wie die großen gesellschaftlich prägenden Themen seit Corona behandelt werden, zunehmend Bauchschmerzen bekommen. Ich habe auch mit den Verantwortlichen dort geredet und betont, dass ich mich nicht daran beteiligen will, Andersdenkende der Lächerlichkeit preiszugeben. Satire darf sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen. Und jetzt findet genau dies wieder statt beim Krieg in der Ukraine. Da werden Narrative und Positionen von Gruppen, die gesellschaftlich in der Hierarchie weit oben stehen, unablässig wiederholt und gleichzeitig wird Stimmung gegen Andersdenkende gemacht. Das hat nach meinem Dafürhalten nichts mehr mit Satire zu tun.
Alles vorbei, Türe zu bei Welke & Co?
Die Tür wurde mir offen gelassen, falls ich das mal wieder anders sehen oder mich wohlfühlen sollte. Das finde ich auch schön. Aber ich habe diesen Schlussstrich für mich gezogen. Nein, und offiziell sind auch bei der „Anstalt“ im ZDF keine Türen zu. Aber man wird halt immer weniger gefragt, bis man irgendwann nicht mehr gefragt wird und das hat Gründe. Ich habe mich wohl erfolgreich mit meinem Programm und meinen Ansichten aus vielen Sachen rauskatapultiert. Ich glaube zum Beispiel auch, wenn man das große Fass Kapitalismuskritik aufmacht, und das wirklich ernst meint, ist man draußen. Nein, ich bin überhaupt keine Freundin mehr von Satiresendungen, egal ob Böhmermann, „Anstalt“ oder andere.
Warum? Böhmermann ist doch mit seinem Rechercheteam gut dabei, Missstände aufzudecken.
Auch er hat die gängigen Narrative verstärkt. An eine Sendung kann ich mich noch gut erinnern. Da ging es um Nichtgeimpfte, und dann lehnte er sich zurück und zeigte zwei Stinkefinger. Ich dachte, wie kann man das machen?
Satire ist auch Provokation.
Aber das ist Spaltung. Corona hat tatsächlich gespalten wie S 21 damals in Stuttgart. Und die Fernseh-Satire hat dabei keine rühmliche Rolle gespielt. Da finde ich mich nirgendwo mehr wieder.
Auch in der Kontext-Redaktion gab es kontroverse Debatten über den Umgang mit Corona und den sogenannten Querdenkern. Wenn Rechte eine Bewegung kapern und ich höre nur halbherzige Abgrenzungen oder gar keine, dann ist Schluss mit lustig. Über die Einschränkung von Freiheitsrechten, über Kinder, die isoliert wurden von ihren Eltern, wer in der Pandemie gute Geschäfte gemacht hat – darüber muss man reden. Aber über obskure Demos bitte auch.
Das Problem ist doch, dass alles komplett eskaliert ist. Ich habe Fragen, was die Impfstoffe angeht, ich habe da Unsicherheiten und zu manchem womöglich noch gar keine Meinung. Aber es war immer unmöglicher, Fragen beantwortet zu bekommen, sich wirklich gut eine Meinung bilden zu können über Informationen, weil ja nur noch die und die geladen sind. Und die anderen darf man sich nicht anhören, weil die sowieso auf obskuren Kanälen, oje, auf keinen Fall anklicken. Diese Verunmöglichung eines Diskurses verschärft nur die Spaltung. Wie wenig bedarf es mittlerweile, um als rechts gebrandmarkt zu werden. Wann bin ich rechts, wann bin ich eine Verschwörungstheoretikerin, eine Schwurblerin? Ich habe Fragen, ich habe Kritik, ich möchte mich äußern dürfen, ich möchte auch zuhören dürfen, ich möchte auch den hören, der für das Letzte gehalten wird. Ich kann mit Satire, die das verunmöglicht, nichts mehr anfangen. Das ist ein Simulieren von Freiheit. Mir fällt es schwer, auf das Grundgesetz zu pochen oder den Rechtsstaat.
Obacht, Frau Prayon, da droht Beifall von der rechten Seite.
Hört man auf zu reden, weil man eventuell falsch verstanden wird? Natürlich werde ich falsch verstanden, ich werde ganz bestimmt falsch verstanden, also wenn ich mich auf eins verlassen kann, dann darauf.
In Ihrem Buch, das ein Buch über Ihr aktuelles Programm „Abschiedstour“ ist, haben Sie das Wort N-Küsse schwarz durchgestrichen.
Ja, da hab‘ ich lange lange lange lange drüber nachgedacht, viel viel viel diskutiert, weil es mittlerweile so so so schwer ist. Und das ist jetzt durchdacht. Ich benutze das Wort nicht in meinem Alltag. Selbstverständlich nicht. Es ist rassistisch und somit ist es richtig, dieses Wort nicht zu verwenden. Wenn ich aber eine Kunstfigur, die eindeutig rechts oder rassistisch ist, so etwa sagen lasse, dann ist das etwas, was unter Kontext fällt. Das muss ich in der Kunst sagen können. Wenn ich Hitler auf der Bühne oder im Film nicht mehr den Hitlergruß machen lassen darf, wenn sich Hitler politisch korrekt ausdrückt, dann sind die Nazis eigentlich auch in Ordnung, gewesen, oder?
Heute werden junge Menschen, die sich auf Straßen kleben, in den Knast gesteckt.
Was die Letzte Generation macht, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, ist ein Angriff auf das bestehende System. An einer empfindlichen Stelle, und sie bringen es zum Bröckeln, indem sie den Verkehr lahmlegen, so dass die Leute nicht zur Arbeit kommen. Das ist eine Attacke auf eine heilige Kuh. Das kann man doch im Kapitalismus nicht machen, aber hallo, ja, wo kämen wir denn da hin?
Ha, Sie sind schon wieder auf der Bühne. Aber zurück in die Realität: Entsprechend sind auch die Reaktionen. Etwa der Autofahrer.
Das wundert mich nicht. Das stört. Demonstrieren an einem dafür ausgesuchten Platz stört nicht. Es sei denn, die Demonstration wird so groß, dass man sie nicht mehr weg reden oder weg leugnen kann, wie S 21 damals. Aber der zivile Ungehorsam ist natürlich erlaubt, doch er kippt, wenn er zu etwas gemacht wird, was nicht sein darf. Ziviler Ungehorsam gleich kriminell. Das ist doch beängstigend. Wo geht denn das hin? Wenn wir diese Mittel nicht mehr zur Verfügung haben? Wie sollen wir uns denn noch wehren, wenn wir Unrecht sehen? Ja, demonstrieren?
Oder eben auch nach den Utopien schauen. Ernst Bloch sagt im Prinzip Hoffnung, Utopien haben einen Fahrplan, sie gehen von Missständen aus und in die Richtung auf ein besseres, gerechteres Leben.
Dystopien ja, aber Utopien… was mach ich da? Vortrag halten?
Über die Regierung lästern. Über den Porsche-Lindner…
Aber das ist doch sooo langweilig.
Aber immer noch notwendig. Aufklärung ist notwendig, deshalb bin ich Journalistin geworden. Und jetzt kommt die Prayon daher, und sagt, wir wissen doch schon alles, die Sauereien sind alle bekannt, alles transparent.
Was hilft es uns, dass wir wissen, was bei Stuttgart 21 gelaufen ist? Ist doch alles da, die Lügen, die Korruption. Wir wissen doch auch, was beim NSU passiert ist. Wir kennen die ganzen Skandale, wir sehen das alles, und was folgt daraus? Natürlich ist Aufklärung nötig, die soll auch nicht aufhören. Für mich war nur der Punkt, dass das, was normalerweise für die Aufgabe des Kabaretts gehalten wird, also die Kritik am Bestehenden, dass das alleine mich nicht interessiert, wenn man nicht gleichzeitig darüber redet, was noch möglich ist. Und wenn man auch nicht gleichzeitig über die tieferen Ursachen spricht. Für mich ist es immer Ausdruck eines kranken System. Wie soll ich jemanden vorwerfen, dass er sich bereichert hat, wenn das innerhalb des Systems verlangt wird? Oder finden Sie, dass der Kapitalismus auch nur eines der gewaltigen Probleme unserer Zeit in den Griff kriegt? Und auch mit einem grün angepinselten Kapitalismus werden wir die Erde nicht retten.
Das Interview ist in voller Länge online zu lesen unter www.kontextwochenzeitung.de.
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