: berliner szenen Spiderman in Berlin
Er fiel zu Boden
Ich bog mit dem Fahrrad in die Linienstraße ein. Fast wäre ich in ein Auto gefahren. Ich war abgelenkt worden von Spiderman.
Vor einem Jahr begegnete ich Spiderman schon einmal, in New York bei einer Kaufhauseröffnung. Er muss damals wohl in einer Krise gesteckt haben. Nicht nur, weil er anscheinend Öffentlichkeitsarbeit wie diese finanziell nötig hatte, sondern auch, weil er wirklich scheiße aussah. Er war dick geworden.
Er saß auf einem Podest und gab Autogramme an seine Fans. Bis auf seine Hand bewegte sich nichts. Dem Bauchansatz und den schwabbeligen Schenkeln nach zu urteilen, tat er auch besser daran, still zu sitzen. Oder wer möchte sich diesen unvergesslichen Kuss im Regen mit einem übergewichtigen, tolpatschigen Spiderman vorstellen?
Es regnete in Strömen. Dennoch stellte ich mich in die Schlange. Man hat ja nicht jeden Tag die Gelegenheit, Spiderman kennen zu lernen. Als ich an der Reihe war, fragte er: „Where are you from?“ Der Stimme nach war er stark gealtert. „Germany?“, fragte er weiter und gab daraufhin seine Deutschkenntnisse zum Besten.
Meine Minute mit Spiderman verging wie im Flug. Zum Abschied drückte er mir die Hand. Heute begegnete ich Spiderman in Berlin wieder. Er hatte abgenommen, und der akrobatische Akt an dem Verkehrsschild zeigte, dass er auch wieder gelenkiger geworden war. Als ich Spiderman hinterhersah, während ich in die Linienstraße einbog, fuchtelte er wie wild in meine Richtung mit den Händen. Er ließ dabei das Verkehrsschild los, schaffte es noch, mit einem: „Vorsicht!“ meine Aufmerksamkeit auf das mir entgegenkommende Auto zu lenken, und fiel zu Boden. Die Frau drückte auf den Auslöser.
MAREIKE BARMEYER