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Archiv-Artikel

Striemen, Dellen und Wolken

Alte Damen mit Mops, türkische Rapper und deutsche Friedenstänzer: Bei den „48 Stunden Neukölln“ kam wieder einmal zutage, dass in diesem verrufenen Stadtteil Künstler leben, dass es aber nach wie vor auch Brüche im Zusammenleben gibt

Die Kids spielen mit ihren Fotohandys,ein Mädchen stößt spitze Schreie aus

VON KATHARINA GRANZIN

Die grellblond gefärbten Haare der alten Dame sind streng nach hinten gekämmt. Ihr sorgfältig aufgetragenes Make-up konterkariert die Würde ihres Alters. An der Leine führt sie einen kräftigen Mops mit. Die Dame bleibt vor der kleinen Ladengalerie in der Jonasstraße stehen, in dem sich ein gutes Dutzend Leute um Fotos und Radierungen Neuköllner Künstlerinnen drängen, die hier zu Schleuderpreisen verkauft werden. Mit strengem Blick mustert sie die meterhohe Stoffbahn, die auf Bauchhöhe quer über dem Bürgersteig hängt.

Das Transparent, auf dem schon von weitem eine große „48“ zu erkennen ist, gehört zur Corporate Identity des Kunst- und Kulturfestivals „48 Stunden Neukölln“, das an diesem Juniwochenende stattfindet. Da die Dame mit dem Mops einen Umweg machen musste, um es zu passieren, nutzt sie die Gelegenheit zum Gespräch. Beschweren will sie sich gar nicht, warnt nur, dass ein so auffällig aufgehängtes Stück Stoff Anlass zu Vandalismus geben könne. „Diese Jugendlichen machen doch alles kaputt. Die hauen sich sogar gegenseitig mit Kabeln. Hier, das hab ich gerade welchen abgenommen“, sie weist ein weißes Elektrokabel vor, das sie in der freien Hand hält, „ihr macht euch doch furchtbare Striemen, hab ich gesagt!“

Wie als Kommentar zu ihrem Bericht treffen wir an der nächsten Straßenecke den Künstler Patrick Jambon, der mit einem mobilen Computerspiel im Kiez um den Körnerpark unterwegs ist und erzählt, sein Wagen sei am Vorabend von einem Passanten demoliert worden. Tatsächlich weist das selbst gebaute Gestell eine Delle auf – wahrscheinlich ist der durchschnittliche Neuköllner an Kunst im öffentlichen Raum einfach noch nicht so sehr gewöhnt. Für dieses Wochenende jedenfalls ist die Kunst hier so präsent wie sonst nie.

So schlecht sein Ruf sonst auch sein mag, ist Neukölln trotz allem ein Bezirk mit einer hohen Dichte an Künstlern und Kulturschaffenden, die, chronisch unterbezahlt, sich hier noch das Dach über dem Kopf leisten können. Die Idee des vor sechs Jahren vom Bezirk gegründeten Festivals, die vorhandene Kultur aus ihren Nischen zu holen und für ein Wochenende im Jahr in den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens zu stellen, ist so einfach wie genial. Dabei gibt es unendlich viel zu entdecken, doch auch die Brüche im Zusammenleben treten deutlicher zutage als sonst.

In der Richardstraße, im Kern von Alt-Rixdorf, liegt der Comenius-Garten, der normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist; ein gärtnerisch-philosophisches Kleinod aus gepflegten Wildwiesen, duftendem Rosengarten, schönen Wegen und Teichen. Zunächst scheint dies ein reizvoller Kontrast zu sein. Keine zehn Meter vom Denkmal des Philosophen Jan Amos Komenskü entfernt treten auf einer kleinen Bühne lautstark die Neuköllner Rapper „GC“ auf, zwei türkische Jungs, die altersmäßig gerade erst der Schulpflicht entronnen sein können, wenn überhaupt. Trotz ihrer Goldkettchen und der stilecht rasierten Frisuren sehen sie eigentlich recht lieb aus in ihren Rapper-Sweatjacken. Sie rappen deutsch, und das gar nicht mal schlecht.

Die Texte allerdings handeln überwiegend davon, wie cool es ist, alle, die einem nicht passen, wegzupusten oder zu zerstückeln. Pubertäre, wenn auch nicht sehr sympathische Allmachtsfantasien eben.

Für die Kids, die die Bühne belagern, ist das „coole Disco“. Sie stehen da mit ihren Fotohandys und bannen jede Bewegung ihrer Helden in Pixel. Ein Mädchen stößt probeweise spitze Schreie der Begeisterung aus. Da wir nicht zur Zielgruppe gehören, setzen wir uns bald nebenan auf die Wiese, um die sich gerade zaghaft zeigende Sonne zu genießen. Auch von hier sind die Texte noch bestens zu hören. Irgendwann weht der Satz „Wir scheißen auf die Juden“ herüber. Entsetzt gucken wir uns an, können es erst nicht glauben, doch gleich darauf tritt drüben plötzlich Stille ein. Zum Glück hat jemand den Stecker gezogen.

Irgendwie ist es da tröstlich, dass nebenan auf dem Richardplatz das Kontrastprogramm läuft: Auf der großen Bühne des Tanzfestivals „Bewegte Welten“ tragen Mädchen und Jungen in Tracht türkische Volkstänze vor, ein plötzlich ganz besonders friedlich wirkendes Bild. Ihnen folgt eine Formation persischer Herren mit sehr kleidsamen Mützen, eine mitreißende Darbietung des Flamencostudios Marcao und ein recht wolkig wirkender israelisch-palästinensischer Friedenstanz, aufgeführt von älteren deutschen Damen, die auch beim Tanzen die Brille auf der Nase behalten, um nicht von der Bühne zu fallen. Die Neköllner Mischung ist in der Tat sehr vielfältig.