: Gegen Wanzen: Am radikalsten ist die FDP
Wenn sich SPD, Grüne und die Union nicht bis morgen einigen, droht dem großen Lauschangriff bald das Aus
FREIBURG taz ■ Für die Polizei wäre es ein Ärgernis, für Bürgerrechtler eine Freude. Möglicherweise gibt es schon ab dem 1. Juli keinen großen Lauschangriff mehr. Laufende Wanzen-Einsätze müssten sofort abgebrochen werden – wenn bis dahin nicht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Entschärfung der „akustischen Wohnraumüberwachung“ umgesetzt wurden.
Rot-Grün hat zwar Ende Mai ein entsprechendes Gesetz beschlossen, doch der unionsdominierte Bundesrat erhob dagegen sein Veto. Bis zur morgigen Sitzung des Vermittlungsausschusses muss eine Lösung gefunden sein.
Seit 1998 darf die Polizei zur Strafverfolgung Mikrofone in Wohnräumen installieren und mithören. Das macht sie zwar nur etwa 30-mal pro Jahr, doch die Maßnahme – für die extra das Grundgesetz geändert wurde – ist immer noch sehr umstritten.
Im Vorjahr entschieden die Richter in Karlsruhe, dass Gespräche in der Familie und mit Freunden nicht belauscht werden dürfen, wenn dabei nicht über Straftaten gesprochen wird. Außerdem müsse das Instrument auf Fälle „schwerster Kriminalität“ wie Mord und Drogenhandel beschränkt werden. Rot-Grün hat diese Vorgaben jetzt umgesetzt.
Doch der Bundesrat rief am 27. Mai den Vermittlungsausschuss an. Er will vor allem, dass der Lauschangriff auch bei Ermittlungen gegen Sexualtäter, Scheckfälscher und kriminelle Vereinigungen eingesetzt werden kann. Die SPD ist verhandlungsbereit, doch die Grünen lehnen jede Verschärfung des Gesetzes ab. „95 Prozent der Unions-Wünsche sind erfüllt. Wenn sie noch mehr will, dann ist eben sie schuld, wenn der Lauschangriff bald ganz aus der Strafprozessordnung gestrichen wird“, drohte Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Grünen, zu Beginn der Verhandlungen.
Es ist Wahlkampf und es geht um Taktik. Denn die vom Bundesrat beantragten Änderungen sind eigentlich „Marginalien“, die in der Praxis keine große Rolle spielen werden. Doch wem nützt ein Scheitern der Verhandlungen?
Die Grünen bestreiten, dass sie eigentlich froh wären, wenn die Lizenz zum Verwanzen von Wohnungen ausläuft. „Es gibt wirklich einige wenige Fälle, wo man dieses Instrument braucht“, beteuert Montag.
Aber vielleicht sind die Grünen noch perfider und wollen einfach nur den ersten Koalitionskrach bei Schwarz-Gelb provozieren. Der läge nämlich in der Luft, wenn die akustische Wohnraumüberwachung zum 1. Juli endete und die CDU/CSU sie nach einem Wahlsieg sofort wieder einführen wollte. Denn dann müsste sie sich mit der FDP einigen, die in solchen Fragen derzeit radikaler tut als die Grünen. So haben die Liberalen auf ihrem Kölner Bundesparteitag Anfang Mai überraschend beschlossen, dass sie den großen Lauschangriff „konsequent“ abschaffen wollen.
Gut möglich, dass die Union doch lieber jetzt dem rot-grünen Gesetz zustimmt, als sich im Herbst mit den Neo-Fundis der FDP herumzuschlagen.
CHRISTIAN RATH