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Archiv-Artikel

Die gute Seite des Schlagers

Zum einen gibt es die Musik, und zweitens gibt es den Schlager. Was eigentlich bis in unsere Gegenwart hinein als Gegensatzpaar begriffen wird, auch wenn heute vielleicht kaum mehr ein Film gemacht würde, dessen Handlung man so zusammenfassen könnte: „Die Geschichte eines Jazz-Musikers, der das verlockende Angebot, als kommerzieller Schlagersänger Karriere zu machen, zurückweist und seine künstlerische Integrität behauptet.“ Das ist die Geschichte von „Tobby“, ein Film aus dem Jahr 1961 und heute im Arsenal zu sehen. Gar nicht mehr angesprochen werden muss in der Inhaltsangabe, dass – wenn einer nicht korrumpierbar und käuflich ist – eben genau das der Schlager sei: korrupt und Ausverkauf. Eine Gegenwelt.

Die manchmal aber auch ihre guten Seiten hatte, was ja selbst die zugeben würden, die sich nur für die Musik interessieren. Dann bringt man gern die Platten von Manfred Krug ins Spiel, die er Anfang der Siebziger mit Günther Fischer eingespielt hat. Schon Schlager. Aber mit Jazzkompetenz und tricky Arrangements mit so viel Funk und Soul, dass man daraus etliche Rare-Groove-Platten schneidern könnte. Dazu die Stimme von Krug und dieser Tonfall, in dem er die Lieder wirklich spielt, wie ein Schauspieler, der er ja auch ist, der selbst manche flaueren und abgegriffenen Textpassagen irgendwie wahr macht in so einer Distanznähe, weil manchmal halt die härtesten Gegensätze in eins fallen können.

Und das gibt es schon weiterhin, bei Freddy Fischer zum Beispiel, dessen neues Album hier oben auf der Seite eben auch mit dem Verweis auf das Krug’sche Schaffen angesprochen ist, und aus dessen Katalog ist sein unbetiteltes Album von 2009 mein Favorit: Weil das so tut, als wäre es aus dem Jahr 1974 herübergerettet worden, womit sich Freddy Fischer als eine Art überzeitlicher Klempner mit großem Rockerherzen zeigt, der wenigstens in einer virtuellen Historie die Sachen in Ordnung bringt und Gegenwelten zusammenschweißt, Rock, Disco und den Schlager, die damals nie zueinander gekommen wären.

Nach insgesamt vier Platten mit Schlagersoul von Manfred Krug mit Günther Fischer war es dann in der DDR vorbei. Weil er gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestierte, hatte Krug im Osten kaum mehr eine Chance. 1977 gab er auf und ging in den Westen, wo er dann später den singenden „Tatort“-Onkel gab. Außerdem steht da noch sein Vorwurf gegen Günther Fischer im Raum, Zuträger der Stasi gewesen zu sein. Auch so Gegenwelten. Deutsch-deutsche Verwerfungen. Lieder darüber aber werden nicht gesungen.

Zum Vormerken: am 6. Juli singt Krug gemeinsam mit Uschi Brüning beim Köpenicker Blues & Jazzfestival. THOMAS MAUCH