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Archiv-Artikel

Ach, Griechenland

POLITIK Chaos nach der Wahl: Es bleiben nur wenige Tage, um eine Regierung zu bilden, doch eine Einigung ist nicht in Sicht. Können die Griechen keine Koalitionen eingehen?

In 140 Jahren konnten sich die Hellenen nur siebenmal auf eine parteiübergreifende Regierung einigen

AUS ATHEN JANNIS PAPADIMITRIOU

Der Traum vom Alleinregieren wird jedem griechischen Politiker offenbar in die Wiege gelegt. Kein Wunder, denn in den letzten 140 Jahren konnten sich Politiker in Hellas nur sieben Mal auf eine parteiübergreifende Regierung einigen. Dafür sorgt auch ein höchst umstrittenes Wahlrecht, das traditionell einen Bonus für die stärkste Kraft im Parlament bereit hält.

„Eine Koalitionsregierung würde das Land nur schwächen. Ich will einen starken Regierungsauftrag, damit ich die Wirtschaft ankurbeln und in Europa auf Augenhöhe verhandeln kann“, hämmerte der konservative Parteiführer Antonis Samaras seinen Anhängern im Wahlkampf ein und stellte klar, für eine Koalition stehe er nicht zur Verfügung.

Nur wenige Stunden nach dem ernüchternden Wahlergebnis änderte er seine Grundeinstellung, im „Interesse des Vaterlandes“ selbstverständlich. „Samaras erinnert mich stark an meine Hauskatze“, schrieb ein Kommentator. „Sie klettert voller Begeisterung die Bäume hoch, aber dann sitzt sie da oben und weiß gar nicht mehr, wie sie runterkommt.“ In diesem Fall kam Samaras doch noch von seinem hohen Ross runter, erhielt als Erster den Sondierungsauftrag, gab ihn aber nach fünfeinhalb Stunden zurück. Es sei unmöglich, eine Koalition zu bilden, erklärte der konservative Parteichef, mit Neuwahlen liebäugelnd.

„Bei so viel Parteitaktik kommt es mir vor, als säße ich direkt im Theater“, kommentierte der Journalist Alexis Papachelas im TV-Sender Skai. „Hier wie dort gilt: Einige kommen mit ihrer Rolle gut zurecht und andere eben nicht. Dass Samaras den Regierungsauftrag nach nur wenigen Stunden zurückgab, halte ich unter dem Gesichtspunkt der Dramaturgie für einen Fehler“, so Papachelas.

Was der Hauptdarsteller Samaras nicht leisten konnte, war dem linken Parteichef und Überraschungszweiten der Wahl, Alexis Tsipras, wie auf den Leib geschnitten: Nachdem er den Sondierungsauftrag bekam, setzte er den Wahlkampf mit anderen Mitteln fort, seine Rolle als Ministerpräsident in spe sehr ernst nehmend: Er schrieb Protestbriefe an die EU-Kommission, telefonierte mit den französischen Sozialisten, traf sich mit Vertretern der außerparlamentarischen Opposition und mit Gewerkschaftsführern, hofierte die Grünen und stattete auch dem legendären Musikschöpfer Mikis Theodorakis einen Besuch ab. Nur mit seinen potenziellen Koalitionspartnern hatte Tsipras kaum Zeit zu sprechen. Den Auftrag gab er zurück mit der Begründung, die Gesellschaft habe ihm zwar volle Unterstützung zugesichert, doch die im Parlament vertretenen Parteien verharrten bei ihrer Ablehnungshaltung. „Der Tsipras beißt doch viel mehr ab, als er runterschlucken kann“, kommentierte ironisch die dem Sozialisten nahe stehende Athener Tageszeitung TA NEA.

So lässt sich sagen: Die Kultur des Kompromisses ist den meisten griechischen Politikern unangenehm, wenn nicht sogar suspekt oder gar fremd. Oft erfolgt die Begründung dieser starren Kompromisslosigkeit mit höheren Zielen: „Wir werden den Auftrag der Wähler nicht verraten“, erklärte der Rechtspopulist Panos Kammenos im Brustton der Überzeugung und stellte auch sofort klar, er werde „nicht mal tot“ mit der konservativen Nea Dimokratia zusammenkommen. „Eine Koalition würde den Interessen des Volkes schaden“, konstatierte die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Aleka Papariga.

Falls keine Koalition zustande kommt, muss Staatspräsident Karolos Papoulias laut Verfassung „die Parteiführer“ zu sich einladen und weitere Gespräche führen. Welche „Parteiführer“ in Betracht kämen, ist unklar. Ob das auch für die erstmals im Parlament vertretenen Neonazis gilt?

In den nächsten Tagen wird das Land offenbar nicht über die drohende Staatspleite, sondern über die Frage debattieren müssen, ob die Nationalisten als Regierungspartner taugen. Sollen die Traditionsparteien, linke wie rechte, später bloß nicht behaupten, sie hätten davon gar nichts gewusst.