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Archiv-Artikel

Mythologie in ProgressFremdes Land

Im Oldenburger Schloss lässt sich derzeit beobachten, was passiert, wenn sich Fotografen ein Bild vom Norden machenAUSSTELLUNG Das FotografInnen-Netzwerk „Nordaufnahme“ macht sich mit seiner Jahresausstellung auf die Suche nach norddeutschen Mythen. Dies muss nicht immer die Küste sein. Manchmal tut es auch ein Misthaufen mit Deutschlandfahne

AUS OLDENBURG ANNEDORE BEELTE

Der Himmel ist immer noch postkartenblau, wenn die Touristen weg sind. Die Schaukel steht still und das Strandaufseherhäuschen ist verriegelt. Wenn die Touristen weg sind, kommen die Fotografen. Aber sehen sie etwas anderes? Tendenziell trostlose Idyllen, dekorative Strand-Fundstücke, käsige Landratten und klapprige Fahrräder. Von Prielen durchzogene Mondlandschaften, aus denen jegliche Farbe gewaschen ist.

Unter dem Namen „Nordaufnahme“ haben sich 38 freiberufliche Fotografinnen und Fotografen zusammengefunden. Vom Seehund-Spezialisten bis zur Theaterfotografin verbindet sie vor allem der Wohnort und Arbeitsplatz im Nordwesten Niedersachsens, grob gesprochen also dem Gebiet zwischen Bremen und der ostfriesischen Küste. Jährlich organisieren sie ein Gemeinschaftsprojekt – diesmal eine Ausstellung, die die jüngsten Arbeiten der Mitglieder vorstellt und die nach einer Station in Emden nun im Oldenburger Schloss gezeigt wird.

Der Titel „örtlich nördlich“ gibt dabei das Thema vor. Die Küste dominiert klar das Bild vom Nordwesten, der Blick auf sie bleibt aber einer von außen – nur wenige NordaufnehmerInnen dringen in Fotoreportagen tiefer in das Leben der Nordlichter ein. Vielleicht mangelt es an norddeutschem Selbstbewusstsein, vielleicht wird das Norddeutsche aber einfach nur anders definiert. Nikolai Wolff zeigt den Norden, wo keiner hinwill: Ein farbloser Himmel, ein gesichtsloses Haus. Das Werbeschild „Sammeln und Seltenes“ klingt wie Hohn, denn hier ist nichts zu erwarten, was irgendjemand haben möchte.

Der Norden, zeigt sich, ist oft ein Land des Stillstands: Das Moor, Angst-Ort über Jahrhunderte, ist der Zeit entrückt. Sogar den Autobahnen der Region ringt Jörg Sarbach statische Momente ab, wenn er, auf Brücken stehend, aus Betonplatten und Fahrbahnmarkierungen abstrakte Kompositionen schafft.

Da überrascht ausgerechnet die Borkumer Inselbahn mit dem rasanten Tempo, das ihr Fritz Dressler, emeritierter Professor an der Bremer Hochschule der Künste, mit Unschärfen und Verwischungen abringt. Die bescheidene Touristenattraktion löst sich in Farben, Formen und Strukturen auf.

„Nordaufnahme“ heißt jedoch nicht nur Kunst für die Kunst. Mit der Fotografie muss Geld verdient werden und der Auftraggeber sieht, was er sehen will. Peter Kreiers technisch virtuose Reportage über die Krabbenfischer Egon und Willi erzählt eine archaische Geschichte vom Kampf gegen die widrige Natur, die auch hundert oder tausend Jahre alt sein könnte. Von Konflikten mit Naturschützern und Energiekonzernen, von Existenzangst und Lobbyismus weiß sie nichts.

Am spannendsten wird „örtlich nördlich“ in den eher seltenen Momenten, wenn sie zeigt, wie die Fischköpfe ticken. Fußball ist ein probater Weg zu den Herzen der Norddeutschen. Folker Winkelmann versteht es, mit einer über dem Misthaufen wehende Deutschlandfahne und einer Plastiktüte voll Bierdosen zwischen Cowboyboots einen ganzen Essay zu erzählen.

Verblüffend ist die moderne Mythologie, die Jens Meier rund um den Windenergiestandort Nordwesten knüpft: Da gibt es tollkühne Stunts der Techniker vor tiefblauem Himmel und futuristische Anlagen, die schon kein Fremdkörper mehr in der Landschaft sind. Man könnte ihm eine naive Technikbegeisterung vorwerfen. Oder aber staunen, wie hier ein neuer norddeutscher Mythos jenseits von Schiffen und Seebären entsteht.

Bis 25. Oktober im Oldenburger Schloss. 31. Januar bis 28. März 2010 im Museum für Industriekultur, Delmenhorst