: Kubus des Anstoßes
Der Künstler Gregor Schneider musste seine Installation auf der Biennale in Venedig abbauen – aus Sorge vor Terroranschlägen muslimischer Attentäter. Grund: Sie erinnert an die Kaaba von Mekka
VON INGEBORG DE VRIES
Jede Kunst hat zur Voraussetzung, dass sie nötigenfalls nicht nur wohlgefällig scheint, sondern ertragen werden muss. Die Aufgabe von Künstlern liegt, je nach Gemütslage, in der Verstörung oder sogar in der Provokation. Nichts von alledem hatte der deutsche Künstler Gregor Schneider im Sinn, als er für die Biennale in Venedig einen Kubus fertigte, 15 Meter hoch, auf dessen Metallrippen schwarze Stoffbahnen gespannt sind. Die Biennale-Organisatoren planten, die Installation auf einem zentralen Platz der Stadt zu präsentieren. Das ist nun nicht mehr möglich, denn, so Alessandra Santerini, Pressesprecherin der Kunstschau, die Behörden Venedigs hätten das Aufstellen aus ästhetischen und Sicherheitsgründen verboten: „Sie hatten Angst, dass es die Sicht auf einen Teil des Platzes versperren würde, aber auch, dass es die religiösen Gefühle der islamischen Gemeinde verletzten könnte.“
Die Auskunft darf für wahr genommen werden – und im gleichen Atemzug für niederschmetternd devot. Und zwar als eine Geste der Unterwerfung, der vorauseilenden Bravheit vor etwas, das Europa – dessen künstlerische Teile in erster Linie – nicht fürchtet, sondern mit Appeasement zu bannen hofft: dem Terror aus Gründen der religiösen Verletzung, wie sie ja die Kader von al-Qaida als Motiv für ihre Handlungen in Anspruch nehmen. Hinter der Haltung, religiöse Gefühle dürften nicht verletzt werden – ehe überhaupt jemand bekundet, ebendies habe er oder sie erlitten –, verbirgt sich eine der düsteren Voraufklärung: als ob religiöse Gefühle an und für sich schützenswert seien und nicht zu kritisieren sein dürften.
Kunst im Keim erstickt
Die venezianische Entscheidung konsequent weitergedacht hieße, jede Kunst, die auch nur im entferntesten an religiöse Systeme anschlussfähig gedacht werden kann, auszuschließen, ja, sie schon im Werden zu vereiteln. Womit die Geschichte der ästhetischen Provokationen im Europa der vergangenen 200 Jahre umgeschrieben werden müsste: Nicht als eines fruchtbaren Haders um Symbole und Zeichen, sondern als eine einzige Missachtung judäochristlicher Empfindsamkeiten.
Tatsächlich ist die von der römischen Administration Berlusconis geforderte und erwirkte Entscheidung nicht nur ästhetischen Zensurerwägungen geschuldet: Heutzutage darf, alles in allem, noch jedes Werk als Kunst firmieren, sofern eine relevante Gruppe von Rezipienten findet, dass es zur Kunst zu zählen sei. Die Intervention ist politischer Natur und umreißt die europäische Strategie zur Integration dessen, was der alte Kontinent unter dem Islam verstehen möchte. Man glaubt eine mächtige Wut zu spüren und wähnt sich auf der sicheren Seite, wenn man sie nicht weiter anheizt. Das ist, so gesehen, das klassische Phantasma der europäischen Bohème allem fundamentalistischen Terror gegenüber: Bloß die schlafenden Hunde nicht wecken! Kein Streit bitte, keine Debatte … kein Stolz auf die (nicht nur ästhetischen) Freiheiten liberaler Demokratien, keine Courage, gerade wegen möglicher Terrorgefahr dieses Kunstobjekt als irritierende Installation zu wollen – und nicht zu verbannen, als ob damit irgendetwas gewonnen wäre.
Mit der italienischen Begründung gegen eine Installation, die der Künstler ausdrücklich als Kaaba-nah verstanden wissen möchte, die also eher seiner inneren Bilderflut zu entstammen scheint, wird allen zu erwartenden, verrückten Ansprüchen nach Zensur in vorauseilender Rücksichtnahme Recht gegeben – und diese Sensibilität gilt offenkundig Muslimischem mehr als anderen Glaubensrichtungen. Schon beim Kopftuchstreit war dieser Ton zu vernehmen: Kritisiert sie nicht, sonst werden sie zornig! Hinterfragt nicht deren Bilderschätze, sie wären sonst beleidigt! Erhitzt nicht ihre Gemüter, sie könnten sonst explodieren!
Brückenbauer Schneider
Dass sich hinter dieser Haltung auch eine paternalistische verbirgt, als ob die Terrorfurcht eine Chiffre für den Wunsch nach Artenschutz von fundamentalistischen Eiferern wäre, ist offenkundig: Man will sich nicht auseinander setzen, will sich selbst nicht gern vermischen mit dem, was traditionell der Islam an Ästhetik und Kultur zu bieten hat.
Gregor Schneider hat im Übrigen erklärt, sein Kubus passe wunderbar auf den Markusplatz. Sein Projekt habe er nicht als Provokation angelegt, sondern als Weg, „eine tiefe Verbindung zu den Kulturen“ zu zeigen; der Kubus als solcher eine Grundform moderner westlicher Kunst.
Interessant bleibt, dass niemand von den vermeintlich Beschützenswerten auch nur gefragt wurde, ob sie sich beleidigt fühlten: Besser offenbar, man leistet sich mehr und mehr ein wenig dumme Feigheit.