: „Ohne soziale Politik haben wir keine Chance“
Der grüne Sozialpolitiker Markus Kurth will einen höheren Spitzensteuersatz und mehr Geld für Empfänger von Hartz IV
taz: Herr Kurth, was meinen Sie mit sozialer Grundsicherung?
Markus Kurth: Ein soziales Bürgerrecht, kein Almosen. Neben den Grundbedürfnissen Wohnen, Essen und Kleidung muss die Grundsicherung auch Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben umfassen. Dazu gehören aktive Hilfen für Erwerbsfähige, Arbeit zu finden.
Und in Euro übersetzt?
Es gibt Anhaltspunkte, dass das Arbeitslosengeld II um 20 Prozent zu niedrig ist. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband sind statt 345 Euro plus Wohn- und Heizkosten gut 400 Euro nötig. Was bisher gezahlt wird, reicht jedenfalls sicher nicht.
Hatte die PDS doch Recht: Hartz IV ist Armut per Gesetz?
Nein, das ist Polemik. Die PDS würde auch bei höheren Sätzen von Armut sprechen, weil der Begriff subjektiv wahrgenommen und entsprechend eingesetzt wird. Wir halten uns an das soziokulturelle Existenzminimum.
Jetzt plötzlich?
Wir haben auf den grünen Parteitagen die Forderung erhoben, dass der Regelsatz erhöht werden muss. Vielleicht haben wir das nicht offensiv genug vertreten.
Wo soll’s Geld herkommen?
Subventionsabbau, Umwandlung des Ehegattensplittings, Korrekturen der Steuerpolitik. Der Spitzensatz könnte auf mindestens 45 Prozent erhöht werden, verbunden mit einem Ausgleich für Personengesellschaften. Dann hätten wir auch wieder Geld für Investitionen in Bildung und aktive Arbeitsmarktpolitik.
Sie wollen „dezidiert linke“ Grüne. Wieso eigentlich? In NRW haben Sie viel mehr Stimmen an die CDU verloren als an die WASG.
Die meisten gingen aber zur SPD. Und 21 Prozent unserer Wähler bundesweit können sich vorstellen, die Linkspartei zu wählen. Da haben wir nur eine Chance, wenn klar wird, dass neben Ökologie soziale Gerechtigkeit ein zentrales Motiv der Grünen ist.
Haben Sie dafür nicht zu viel Glaubwürdigkeit verspielt nach der rot-grünen Umverteilung von unten nach oben?
Dieses Bild ist verzerrt. Bei den Steuern wurden auch untere Einkommen entlastet. Es gab Verbesserungen beim Kindergeld und Bafög. Aber wir müssen selbstkritisch fragen, wohin die angebotsorientierte Wirtschafts- und Steuerpolitik geführt hat. Wir sind zu lang davon ausgegangen, dass es genügt, Steuern zu senken und finanzielle Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, damit sie investieren und Arbeit schaffen. Diese Rechnung ist erkennbar nicht aufgegangen. Also weiter so? Nein: Bereitschaft zu Kurskorrekturen!
Dann steht bei den Grünen also ein Richtungskampf an?
Das hängt davon ab, ob sich meine Einschätzung durchsetzt, dass die angebotsorientierte Politik gescheitert ist.
Manche Grünen reden lieber über schwarz-grüne Optionen.
Ich sehe nicht, dass Schwarz-Grün besonders weit trägt. Wenn sogar Katrin Göring-Eckardt jetzt betont, die Grünen sind eine linke Partei, bin ich recht zuversichtlich. Wenn ich höre, dass Oswald Metzger wieder in den Bundestag will mit der Begründung, die angebotsorientierte Politik gehe ihm nicht weit genug, muss ich sagen: So eine Position hat bei uns keinen Platz.
INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF