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Archiv-Artikel

Geld im Wind

Die Börse Stuttgart kämpft mit sich selbst. Sie hat manch riskante Unternehmensanleihe von schwäbischen Mittelständlern als solides Investment für Privatanleger platzieren lassen, aber damit auch manchen Zocker aufs Parkett gelockt. Was früher als solide verkauft wurde, ist urplötzlich und ganz offiziell „spekulativ“. Aber mit Provisionen wird blendend verdient, nur Otto Normalverbraucher hat ein Problem

von Meinrad Heck

Dem Mann im grauen Zweireiher vor der Kamera des hauseigenen Börsenkanals gelingt immer ein flotter Spruch. Tolles Produkt, sagt er, also „mitmachen, hohe Zinsen abholen, lohnt sich für alle Beteiligten.“ Das war vor über einem Jahr. Kurz und bündig. Die Sprüche kamen von Walter Döring, der nach seinem unrühmlichen Abgang aus der Landesregierung seit Jahren fleißig seinen Titel als Exwirtschaftsminister vergoldet. Seinerzeit spielte er Türöffner für einen schwäbischen Selfmade-Millionär, der mit Windrädern die Energiewende entdeckt hatte, als andere noch von Atomkraftwerken träumten. Für diesen Willi Balz und dessen Windreich AG durfte Döring an der Börse Stuttgart von Privatanlegern 125 Millionen Euro einsammeln. Zum aktuellen Börsenkurs sind diese und andere Anleihen derzeit nicht einmal mehr die Hälfte wert. Und jetzt tobt der Bär.

Die kritischen Auguren hatten es prophezeit. Mittelständler an der Börse, und seien es die besten schwäbischen Tüftler, das ist etwas für Investment-Profis und nichts für kleine Privatanleger. Wer kann schon wirklich entscheiden, welchem Unternehmen er für fünf Jahre Geld leiht? Denn nichts anderes ist ein solche Anleihe. Für ihre Papiere im Stuttgarter Börsensegment Bondm müssen besagte schwäbische Tüftler zwischen 6,5 und 11,5 Prozent Zinsen hinblättern. Da kann auch Otto Normalverbraucher schon mal schwach werden und zugreifen, wenn ihm der frühere Wirtschaftsminister ein hohes Risiko als Schnäppchen und „lohnendes“ Investment verkauft.

Fast 100 Millionen Euro an Provisionen

Dicke Kohle machen aber vor allem erst einmal andere. Über 1,6 Milliarden Euro wurden von Mittelständlern seit 2010 auf dem Stuttgarter Parkett platziert. Knapp sechs Prozent davon, also fast 100 Millionen Euro, flossen erst einmal als Provision in die Taschen von Rechtsanwälten oder Börsencoaches, sie wanderten zu PR-Beratern oder Bankern und Ratingagenturen. Zu solchen, die Unternehmen bewerten, deren Bonität prüfen, Noten verteilen und dabei ausgerechnet – völlig legal – von denen bezahlt werden, denen sie das Gütesiegel verpassen. Da lag und liegt viel Geld auf der Straße. Böse Zungen behaupten hinter vorgehaltener Hand, da seien wahre „Drückerkolonnen“ am Werk, um Anleihen auf dem Börsenparkett in Stuttgart zu platzieren.

Will Balz' Windreich AG aus Wolfschlugen hat einen solchen Rating-Persilschein erhalten. BBB+ ist ein sogenanntes Investmentgrade, also etwas und jemand, dem auch Otto Normalverbraucher sein schwer verdientes Geld anvertrauen könnte. Der Selfmade-Millionär ist Projektentwickler teurer Windkraftanlagen in der Nordsee. Dafür braucht er immer frisches Geld. Jene 125 Millionen, die mithilfe des Exwirtschaftsministers an der Stuttgarter Börse eingesammelt worden waren. Tatsächlich notieren die Anleihen heute fast auf Ramschniveau. Eine von zwei Tranchen war von 100 auf knapp 45 Prozent abgestürzt. Mehr als die Hälfte wäre verloren, sollte ein Anleger aktuell verkaufen wollen, weil er sein Geld vor Ende der Laufzeit wiederhaben will. Auf BBB+ vertraut und tatsächlich bei „spekulativ“ gelandet.

Denn genauso so stuft eine erst jüngst eingeführte Risikoklassifizierung der Stuttgarter Börse selbst etwa die Anleihen von Solar-Unternehmen oder der Windreich AG mittlerweile ein. Dabei hat dieses Unternehmen das beste Mittelstandsrating in Baden-Württemberg. Die neue Klassifizierung kommt für frühe Anleger zu spät. Laut Börse deshalb so spät, weil sie einer „sorgfältigen konzeptionellen Vorbereitung“ bedurfte. Neun von 24 Mittelständlern im Stuttgarter Bondm wurde seit vergangenen Februar dieses Etikett „spekulativ“ verpasst.

Tatsächlich scheint sie eher der deutlichen Kritik geschuldet, die Anlegerschützer und kritische Analysten seit Monaten immer wieder geäußert hatten, nämlich auf „Qualität zu achten“. Heinz Steffen etwa, Analyst bei Fairesearch in Kronberg im Taunus, findet zwar „toll“, dass schwäbische Tüftler sich Geld nicht mehr nur von ihren Banken leihen müssen, sondern sich die Millionen auch an der Börse besorgen können. Dort allerdings von Profis, nicht von privaten Amateuren, die nicht mehr einschätzen können, worauf sie sich einlassen. Die Stuttgarter Börse sei „beratungsresistent“ gewesen, und jetzt „fliegt ihnen das Ding um die Ohren“, kritisiert der Analyst.

Derlei Kritik dringt selten nach außen. Eher die flotten Sprüche jenes Exwirtschaftsministers mit der Aufforderung zum „Zinsenabholen“. Dafür rumort es bei den Unternehmen. Sie beklagen sich bitter über die Stuttgarter Börsianer wegen der vermeintlichen Transparenz mit den neuen Risikoklassen. Das sei allenfalls eine Momentaufnahme, eine schnelle Botschaft, aber eben keine fundamentale Bewertung.

Sabine Traub, die Leiterin der Primary Market Group bei der Stuttgarter Börse, erklärt auf Anfrage dazu, die neu geschaffenen Risikoklassen seien als „ergänzendes“ Informationsinstrument zu sehen, falls Anleger auch „kurzfristige Analysen“ in ihre Entscheidung einbeziehen wollten. Ein jährlich erstelltes Unternehmensrating dagegen sei „eine Fundamentalanalyse“ und damit „in keiner Weise vergleichbar“.

Windmillionär Willi Balz, der in der Branche als Pionier gilt und dessen Anleihen im Kurs nach unten geprügelt wurden, fühlt sich „grottenfalsch“ eingestuft. Und weil Banker oder Börsianer sich nicht von seinen visionären Werten haben überzeugen lassen, hat er letzte Woche erst einmal seinen Finanzchef frist- und gnadenlos gefeuert. Seitdem steigt der Kurs wieder. „Wir waren“, sagt er, „bis dahin zu dämlich, andere von unseren Qualitäten zu überzeugen.“ Seitdem darf auch wieder Exwirtschaftminister Walter Döring, den Balz schon letztes Jahr zu seinem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden gemacht hat, auf Werbetour gehen.

Der schwäbische Tüftler Willi Balz ist ein Phänomen in der Branche und tatsächlich als Pionier der Erste gewesen, der auf Wind gesetzt hat. Eigentlich taugt er nicht zum Ökofreak. Dafür hat er zu viel Benzin im Blut. Er ist leidenschaftlicher Pilot und Fan schneller Autos. Er sponsert Rennställe und hat ein paar sündhaft teure Oldtimer in der Garage, die er zum Teil mit Krediten aus der eigenen Firma bezahlt hat. Angeblich für knapp 50 Millionen Euro. Seine Ratingagentur hat es nicht gestört, dass er dieses Privatvergnügen „im Wesentlichen“ mit Firmengeld bezahlt hat. Und ihn haben solche Formulierungen auch nicht gestört, bis sie an die Öffentlichkeit kamen.

Wertvolle Oldtimer sind besser als Gold

„Alles falsch“, sagt Balz. Höchstens zwölf Millionen steckten in den Autos. Warum erst jetzt diese Korrektur? „Ich kann nicht die Nordsee mit Windparks erobern und ständig Berichte lesen“, sagt er. Er sei nun einmal „ein bisschen anders gestrickt“. Und im Übrigen: Solche Autos seien als Sicherheit für sein Unternehmen „besser als Gold“. Der Mann, der sein Unternehmen quasi im Alleingang nach oben gebracht hat, fühlt sich „in Sippenhaft genommen“. Die Griechenlandkrise sei schuld und auch der Staat. Seit der von Solarsubventionen immer mehr die Finger lässt, rauschen Solarwerte in den Keller und sein Unternehmen im Windschatten gleich mit. Das alles und noch dazu „mächtige Lobbyisten“ der großen Energiekonzerne, die zu lange auf Atomenergie gesetzt haben und immer noch damit liebäugeln, „bedrohen die Energiewende“.

Dass sich kleine Anleger auf windige und andere Anleihen einlassen, will Börsianerin Sabine Traub nicht gelten lassen. Bondm, sagt sie, richte sich „insbesondere an erfahrene und selbstbestimmte Anleger“. In dem mittlerweile so heftig kritisierten Mittelstandssegment sei nur „ein sehr kleiner Teil der Privatanleger aktiv“.