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Archiv-Artikel

Seitenhiebe einer verletzten Tochter

SEHNSUCHT Judka Strittmatter führt in ihrem Familienroman „Die Schwestern“ leider nichts zu Ende

Es gehört Mut dazu, die eigene Vergangenheit anzupacken. Sich einzugestehen, wie viel davon im Jetzt herumgeistert. Und das in die Welt hinauszutragen, sich der Kritik auszusetzen. Dafür zu stehen mit dem eigenen, zu großen Namen. Zehn Jahre trug sie die Sehnsucht mit sich herum, dieses Buch zu schreiben, sagt Judka Strittmatter, Journalistin, Jahrgang 1966, Enkelin von Erwin Strittmatter, „Der Laden“, der allzu große Name.

Jetzt ist ihr Buch im Aufbau Verlag erschienen, wie die Romane ihres Großvaters, wie die Gedichte seiner Frau Eva. „Die Schwestern“ erzählt die Geschichte von Martha und Johanne, aufgewachsen im Plattenbau an der Ostsee, die Eltern in Liebe erkaltet, der Vater ein staatstreuer Despot, die Mutter stachelt ihn noch an, wenn er die Mädchen bestraft. Die beiden Frauen um die vierzig fahren in ein Hotel in der ehemaligen Heimat. Johannes Mann ist verhindert, alles war anders geplant, zu sagen haben sie sich nichts.

Nur Belangloses, das Wetter, Jugendgeschichten. Ihre Familie hat es sich zu eigen gemacht, „all die unnützen Streite und überflüssigen Verletzungen über Jahrzehnte mit dem Gallert des oberflächlichen und einander ausweichenden Gesprächs zu überziehen“, schreibt Strittmatter und lässt, wie meist, Martha sprechen. Es ist die Sicht der einen Schwester, die andere, Johanne, wird nur durch Marthas Augen gesehen. Es ist das erste Problem des Romans.

Wie viel von ihrer Familie in der Geschichte steckt? Vierzig/sechzig, siebzig/dreißig, sie will es offenlassen, sagt Judka Strittmatter und macht doch deutlich: Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht rein zufällig. Wie um die Neugierde mancher Leser sofort zu befriedigen, wird rasch der Onkel eingeführt – unschwer als Großvater Erwin zu erkennen –, der im Buch in der DDR ein Schauspielstar war, umjubelt, der Familie gegenüber gleichgültig. Die Beschreibung ist ausführlich, für den Roman aber überflüssig.

Denn um den Onkel geht es nicht. Es geht um die Schwestern, die lieblosen Eltern, aber eben auch das nicht richtig. Das ist das zweite Problem des Romans. Marthas Perspektive ist die der verletzten Tochter, die nicht abschließen kann mit der Vergangenheit, die ihre Wunden leckt und rundum richtet. Über die Schwester, über die Gesellschaft – ständig kommen Seitenhiebe auf die Mütter in Prenzlauer Berg, auf das Weltbild von Frauenzeitschriften, auf das TV-Programm, Exkurse, die ebenso wenig originell wie der Geschichte dienlich sind.

Statt bei den beiden Schwestern zu bleiben – und beide Perspektiven zu erzählen, denn gerade die Sicht Johannes, die versöhnt ist mit der Vergangenheit, erscheint eigentlich viel spannender als das ewige Zürnen Marthas, führt Judka Strittmatter schnell eine dritte Frauenfigur und eine Stasi-Geschichte ein. Während die Schwestern über Vorwürfe nicht hinauskommen, wird der Direktor des Hotels, in dem sie übernachten, von einer wiederentdeckten Akte als Stasi-IM enttarnt. Martha ist elektrisiert, wittert eine Story und zapft dafür auch ihre Jugendfreundin Edith an, die als Marketingleiterin im Hotel arbeitet.

Diese Edith nimmt bald mehr Raum im Roman ein als die Schwestern. Ihre christliche Familie litt unter der Stasi, doch ihrem Hotelchef, der ihr die Chance auf einen tollen Job gab, kann und will sie all das nicht mehr vorwerfen. Das ist an sich durchaus spannend, aber in „Die Schwestern“ geht bald alles durcheinander, jeder Erzählstrang wird nur angefangen, nichts zu Ende geführt, Beschreibungen von Essen, Ambiente, Nebenfiguren füllen den Platz, den irgendeine Entwicklung der Figuren einnehmen sollte.

Es ist zu viel gewollt – und am Ende scheitert Judka Strittmatter, vor allem auch sprachlich. Umständliche Substantivierungen und Partizipialkonstruktionen („die Sonnenbrille in ihrem Rothaar nach adäquatem Sitz abtastend“), schiefe Vergleiche und schräge Bilder („Das Dickliche schien an ihr zu kleben wie Schwefel an der Pechmarie“; „der Genosse im Westpelz“) – irgendwann verliert man beim Lesen die Geduld. Mit Martha, mit den losen Geschichten, mit Strittmatters Sprache. Mut allein reicht nicht.

DANIELA ZINSER

Judka Strittmatter: „Die Schwestern“. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 280 Seiten, 19,99 Euro