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Archiv-Artikel

Der edle Wilde aus dem Norden

TARZAN Flink wie ein Eichhörnchen, edelmütig wie ein englischer Aristokrat – ein Trivial-mythos wird 100. Im Herbst 1912 wurde er von Edgar Rice Burroughs erschaffen

Schwarze Afrikaner zeichnet er ausnahmslos als dumpfe, blutrünstige Menschenfresser

VON FRANK SCHÄFER

Das Gefühl gesellschaftlichen Scheiterns mag nicht angenehm sein, für die Imagination solider, suggestiver und folglich durchaus massenkompatibler Omnipotenzfantasien erweist es sich jedoch als sehr hilfreich. Der Knastologe Karl May etwa fantasierte sich aus seinem realen deutschen Elend in eine Wildwest-Wunderwelt, die von überlegenen teutonischen Präriemännern geradezu überlaufen wird, an der Spitze seine grandiose Selbstüberhöhungsfigur Old Shatterhand. Und auch der Herr der Affen mit Namen Tarzan, der späterhin aus allen medialen Rohren zum Trivialmythos aufgepumpt wird, hat zunächst einmal die Funktion eines heroenhaften Stellvertreters, der in der Fiktion offenbar alles wieder geradebiegen muss, was seinem Autor im Leben schiefgelaufen ist.

Wie Karl May ist auch Tarzan-Erfinder Edgar Rice Burroughs eine zerrüttete Existenz. Er versuchte sich in vielen Berufen. Als Soldat, Goldgräber, Bahnpolizist, Angestellter in der Fabrik seines Vaters und schließlich als Grossist für Bleistiftanspitzer – er scheitert überall, kann seine Familie kaum ernähren, denkt an Selbstmord und flüchtet schließlich in die Fiktion. In einem Akt imaginärer Selbstermächtigung erschafft er sich einen Dschungelsuperhelden – stärker als ein Gorilla, flink wie ein Eichhörnchen, edelmütig wie ein englischer Aristokrat, ausgefuchst wie ein US-amerikanischer Selfmademan und betörend gut aussehend –, der die Frustseufzer des Autors mit seinen kehligen Siegesschreien einfach übertönt.

Kein Wunder, dass schon seine erste längerer Fortsetzungsgeschichte, „Tarzan of the Apes“, die er im Herbst 1912 gegen ein durchaus ansehnliches Honorar im All-Story Magazine unterbringt, einem der beliebten Pulp-Hefte jener Jahre, ein großer Verkaufserfolg wird. Wanderarbeiter, Fabrikmalocher und Ladenschwengel in den USA hatten offenbar ein ähnliches Kompensationsbedürfnis wie Burroughs selbst.

Ein gemachter Mann

Er bearbeitet in der Folge auch Science-Fiction-, Fantasy-, Western-, Piraten- und historische Stoffe. Aber keiner seiner Romane und keine seiner Serien ist so erfolgreich wie „Tarzan“. Von 1912 bis 1938 erscheint beinahe jährlich ein neuer „Tarzan“-Roman, alle erreichen hohe Auflagen. Schon Ende der 1910er Jahre ist Burroughs ein gemachter Mann.

Und jetzt auf einmal offenbart er auch ein beachtliches ökonomisches Gespür. Er gründet eine eigene Vermarktungsgesellschaft, die später auch seine Bücher selbst verlegt, die sich aber zunächst vor allem um die Weiterverwertung seiner literarischen Produkte in Form von Hörspielen, Comics, Merchandise-Artikeln und nicht zuletzt den unzähligen Filmen kümmert. Vor allem diese an Burroughs Vorlagen nur vage angelehnten, durch einen exotischen Set und vergleichsweise wenig bekleidete Schauspieler überzeugenden Abenteuerklamotten sorgen dafür, dass die Figur des Affenmenschen sich ins globale Kollektivgedächtnis einbrennt.

Wer ein Sensorium besitzt für den kruden Charme altvorderen Trashs, der wird aber auch den Romanen einiges abgewinnen können. So erfreuen Burroughs Charaktere stets durch ihre famose Strichmännchenhaftigkeit. Die Gelehrten sind lebensuntüchtige Pedanten, Offiziere selbstredend Ehrenmänner. Der weiße Bösewicht hat unweigerlich auch einen optischen Makel, ähnelt etwa einer Ratte. Die weiblichen Hauptrollen hingegen, vor allen anderen natürlich Tarzans Herzdame Jane Porter, besetzen stets hübsche, geschmackvoll erotische, junge Damen, deren puritanische Tugendhaftigkeit jedoch ins vorherige Jahrhundert gehört. Und Tarzan ist eben Tarzan. Fast ungläubig nimmt man zur Kenntnis, wenn er mal eine Schlappe einstecken muss.

Burroughs Plots haben bisweilen haarsträubende Plausibilitätsdefizite. Der Abkömmmling Lord Greystokes, nach dem Schiffbruch der Eltern im afrikanischen Urwald geboren und nach deren Tod von der guten Affenmutter Kala großgezogen, hat nie ein Menschenwort gehört, bringt sich aber mit den paar Büchern aus der elterlichen Hütte schließlich selbst Lesen und Schreiben bei.

Erlesene Grausamkeit

Das ist nur eins der vielen Fragezeichen, die man schon beim Erstling an den Rand malen kann. Zum 100. Geburtstags des Dschungelkönigs ist jetzt eine Neuausgabe von „Tarzan bei den Affen“ erschienen, in schmuckem dreibändigen Boxset, zusammen mit der deutschen Erstveröffentlichung „Tarzan und der Verrückte“ und der bisher nur in einer Kleinstauflage publizierten Erzählung „Tarzan und die Schiffbrüchigen“.

Unmissverständlich offenbart sich hier die heiße Nadel, mit der Burroughs seine Geschichten gestrickt hat. Aber das Stirnrunzeln währt nie sehr lange, denn hinter der nächsten Ecke des Elefantentrampelpfades lauert bereits Numa, der Löwe, dem der Recke mit einem mustergültigen „Doppelnelson“ das Genick brechen muss. Burroughs weiß genau, was er seiner Pulp-Leserschaft schuldig ist: Action, übertriebene Gewalt, erlesene Grausamkeiten – und am Ende haut Tarzan die Bösen zu Klump. Und so kann man hier eine Menge grobianisch-bodenständigen Lektürespaß erwarten, gewürzt mit viel unfreiwilliger Komik, wenn man den durch und durch reaktionären Subtext auszublenden vermag,.

Dass dieser Stoff zum Mythos geworden ist, kommt nicht von ungefähr. Burroughs beschwört selbst immer wieder seine mythischen Qualitäten. Tarzan lebt in einer völlig atavistischen Welt, in der die ursprünglichen, vermeintlichen Naturgesetze noch Geltung haben, anders als in der modernen Industriegesellschaft, die Autor wie Leserschaft gleichermaßen verunsichern. Als Tarzan seine Jane aus der Gewalt des Menschenaffen Terkoz befreit, „schwand der Schleier jahrhundertealter Zivilisation und Kultur vor dem verschwommenen Blick dieser jungen Frau aus Baltimore. Und als das lange Messer mehrfach tief in Terkoz’ Herzblut tauchte und sein mächtiger Körper leblos am Boden lag, war es eine Frau der Urzeit, die mit ausgestreckten Armen dem Mann der Urzeit entgegenstürzte, der um sie gekämpft und sie erkämpft hatte.“ Die Frau ist wieder das schwache Geschöpf, untergeordnet und ganz der Fürsorge des Mannes anheimgegeben.

Aber Burroughs restauriert eben nicht nur die Hierarchie der Geschlechter, sondern auch der Klassen und Rassen. So verbürgt Tarzan alias Lord Greystoke III. mit jeder neuen Heldentat das Ständeprinzip. Aufgrund seiner natürlichen Überlegenheit setzt sich der Aristokrat eben überall durch, sogar im Dschungel.

Affe und Mensch

Noch prekärer ist Burroughs Herrenmenschenattitüde. Die schwarzen Afrikaner zeichnet er ausnahmslos als dumpfe, blutrünstige Menschenfresser mit spitzgefeilten Zähnen, ohne individuelle Charakterzüge. Tarzans Affenhorde besitzt mehr Persönlichkeit als diese. Folglich werden die weißen Eindringlinge von ihm sofort als seinesgleichen identifiziert und erfreuen sich seines besonderen Schutzes. Während die Schwarzen ohne moralische Bedenken abgestochen werden dürfen.

Man möchte diesen plumpen Rassismus einfach mit auf den Trash-Deckel schreiben und weiterlachen, denn gefährlich kann ein so offensichtlich historischer Text schließlich nicht mehr werden. Aber wenn man diese Bücher symptomatisch liest und davon ausgeht, dass Trivialliteratur, gerade weil sie den Massen gefallen will, auch etwas aussagt über die kollektive Gedankenwelt ihrer Zeit, dann kann einem nachträglich noch angst und bange werden.

Edgar Rice Burroughs: „Tarzan. Drei Abenteuerromane im Schuber“. Übersetzt von Ruprecht Willnow, Marion Hertle und Stephan Pörtner. Mit einem Nachwort von Georg Seeßlen. Walde + Graf, Zürich 2012. Zus. 620 Seiten, 26,95 Euro