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Archiv-Artikel

Dschungel im Wohnzimmer

DJ SOUL Der Musikchef des Pariser Senders Radio Nova besitzt ein zweites Ich. Als „Blundetto“ lädt er dazu ein, sich in seinem Sound-Universum zu verlieren

VON DANIEL BAX

Max Guiget alias Blundetto muss man sich als einen glücklichen Menschen vorstellen. Er haust in einer kleinen Wohnung in der Nähe des Pariser Gare du Nord, die von seiner Vinyl-Plattensammlung, alten Aufnahmegeräten, exotischen Instrumenten und übervollen Aschenbechern überquellen soll. Musiker, die er bewundert und persönlich schätzt, lädt er zu sich nach Hause ein, um seinen selbst gebastelten Tracks den letzten Schliff zu geben. Sein Glück, dass Paris wie ein Dorf ist, in dem illustre Musikerkollegen quasi nebenan wohnen.

Auf „Warm My Soul“ hat Blundetto sein ganz persönliches Musik-Universum ausbreitet. Mit einer kleinen, luftigen-verspielten Melodie beginnt die Reise. Fast unmerklich wird der Hörer mit einem schlichten, einlullenden Groove auf die Schienen gesetzt. Der Zug fährt ab, setzt sich langsam zuckelnd in Schwung, eine tropische Szenerie streift am Fenster vorbei, dann setzen die ersten Bläser ein und die Landschaft weitet sich. Es sind die „Akale Horns“, wie sich die Bläsersektion der Ethio-Jazz-Band Akalé Wubé nennt, die den instrumentalen Opener „Rocroy“ in ein akustisches Panorama verwandeln, das die Fantasien nur so wuchern lässt.

Hinter dem Pseudonym Blundetto verbirgt sich Max Guiget, der Musikchef des Pariser Kultsenders Radio Nova. Den Fotos, die von ihm kursieren, kann man entnehmen, dass er einen buschigen Schnauzbart im Stile eines Truckfahrers aus den Siebzigerjahren trägt. Und benannt hat er sich nach einer Figur aus der TV-Serie „The Sopranos“ – nach dem Cousin der Hauptfigur, dem Mafiaboss Tony Soprano, um genau zu sein. Max Guiget, so viel lässt sich sagen, liebt das Spiel mit Popzitaten.

Für den Soul-Klassiker „Hercules“ suchte er einen geeigneten Sänger, so stieß er auf den Folkbarden Hugh Coltman. Zusammen mit dem Multiinstrumentalisten Shawn Lee zimmerten er eine Retronummer, als wäre sie direkt aus dem Soundtrack eines Blaxploitation-Films entsprungen – und Coltman, einen weißen Briten aus London, der in Paris seine zweite Heimat gefunden hat, brachten sie dazu, mit Falsettgesang so zu klingen, als sei er der wiedergeborene Curtis Mayfield.

Ein weiterer Gast, den Blundetto zu Aufnahmen in seine Wohnung verschleppte, war der Rapper Aqeel. Einen Tag hing man zusammen ab, und schon war das elegische „It’s all about“ geboren, das über fünf Minuten lang aus den Boxen tröpfelt und von Aqeel mit ein paar hingeraunten Versen zum Spoken-Word-Epos veredelt wurde.

Gezielt sprach Blundetto den jamaikanischen Reggae-Sänger Courtney John an, der dem souligen Titeltrack „Warm My Soul“ mit seinem fast übernatürlichen Falsettgesang eine geradezu außerirdische Aura verleiht und dem flotten Rocksteady-Track „Treat me like that“ mit seiner Stimme seinen Stempel aufdrückt. Und auch die „Awale Horns“ tauchen gleich mehrfach auf dem Album auf: Mit einem vertrackten Instrumental erinnert die Ethio-Jazz-Kapelle aus Paris an Äthiopiens goldene Ära; ein anderes Mal entführt sie mit kubanischen Rhythmen und HipHop in Latin-Gefilde.

Kein Wunder, dass Blundetto mit seinen extrem geschmackssicheren, feinsinnigen und sorgfältig arrangierten Kompositionen bei DJ-Kollegen wie Gilles Peterson auf große Gegenliebe stößt. Mit „Warm my Soul“ hat er zu großer Form gefunden.

■ Blundetto: Warm My Soul (Heavenly Sweetness/Broken Silence)