: Küssen gegen Gewalt
ÜBERGRIFFE Berlin gilt als weltoffen. Doch Homophobie gehört nach wie vor zum Alltag
Es darf geküsst werden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Aber am Donnerstag noch mehr als sonst. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie veranstaltet das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo am 17. Mai wieder einen Kussmarathon. Das kündigten Mitarbeiter der Initiative am Montag bei der jährlichen Bilanzpressekonferenz an. Die Kiss-ins finden um 12 Uhr auf der Warschauer Brücke und um 13 Uhr am Mehringdamm Ecke Gneisenaustraße statt. Mit der Aktion soll auf Ausgrenzung, Anfeindungen und Übergriffe gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transpersonen hingewiesen werden.
Berlin gilt als weltoffene, tolerante Stadt. Die Treffpunkte und kulturellen Angebote für Schwule und Lesben nehmen stetig zu. Schätzungen zufolge leben in der Hauptstadt 350.000 homosexuelle Menschen. Gemeinhin werde davon ausgegangen, dass 4 bis 6 Prozent der Bevölkerung homosexuell seien, sagte Maria Tischbier, Ansprechpartnerin der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen.
In Berlin seien es definitiv mehr, sind sich Tischbier und Bastian Fink, Projektleiter von Maneo, sicher. Hier gehe man von bis zu 10 Prozent Homosexuellen aus. Kein Wunder, dass in den letzten Jahren auch der schwullesbische Sektor im Tourismusbereich einen Boom erfahren hat. Das ist die schöne Seite von Berlin.
Zahlen seit Jahren konstant
Die hässliche Seite ist, dass Schwule und Lesben Opfer von Straften werden, weil sie homosexuell sind. Die Anzahl der Taten, die bekannt werden, ist seit Jahren mehr oder weniger konstant. „Wir können weder von einer Zunahme noch von einer Abnahme sprechen“, so Finke. „Die Zahlen sind gleichbleibend hoch.“ Konkret sind 2011 bei Maneo laut Finke 201 schwulenfeindliche Gewaltvorfälle gemeldet worden. Im Vorjahr waren es 216 Fälle.
Die Zahlen der Polizei sind niedriger. Auch das ist ein wiederkehrendes Phänomen: Unter dem Stichwort „Hasskriminalität gegen sexuelle Orientierung“ wurden bei der Polizei im 2010 111 Anzeigen erstattet. 2011 waren es 92. Viele Geschädigte scheuten sich zur Polizei zu gehen, weil sie sich nicht als homosexuell outen möchten, erklärte Finke diese Diskrepanz. Manche befürchteten eine neuerliche Diskriminierung auf dem Polizeirevier. Andere seien der Meinung, den Täter kriege man sowieso nicht.
Finke sagte, Maneo und Polizei unternähmen große Anstrengungen, das Dunkelfeld zu erhellen. Das Anti-Gewalt-Projekt führe zahlreiche Präventionsveranstaltungen durch, stoße mit den zwei festen und 16 ehrenamtlichen Mitarbeitern aber an personelle Grenzen. Maneo geht in Schulen und macht Aufklärungsveranstaltungen. Die Mitarbeiter besuchen zudem Schwulentreffpunkte. Auch für die Polizei führen sie Schulungen durch: Rund 1.000 Polizisten sollen allein 2012 daran teilnehmen. Ziel ist es, die Beamten dafür zu sensibilisieren, dass ein Überfall auch schwulenfeindliche Motive haben kann. PLUTONIA PLARRE