: Alemannia schwer unterschuldet
Spektakuläre Geschäftszahlen bei der ersten Bilanzpressekonferenz des Fast-Insolventen von 2002 und Uefacup-Triumphators der Vorsaison. Fazit: Alemannia Aachen startet bei positiver Null
AUS AACHENBERND MÜLLENDER
Bislang war Alemannia Aachen ein Synonym für ältliches Vereinswesen, für Jahreshauptversammlungen mit Ehrennadel-Verleihungen und Brühwurst-Kulinarik. Jetzt rief der Club zur Beschau des aktuellen Zahlenwerks, genannt „Bilanzpressekonferenz“ – die erste der 105-jährigen Clubgeschichte. Und jetzt ist von Benchmarking die Rede, von Ticketing-Wachstum und Merchandising-Erlösen nach Quasi-Just-in-time-Lagerhaltung.
4,022 Millionen Euro vor Steuern hat der Club 2004 an Überschuss erwirtschaftet – eine riesige Summe, die kleine Zweitligisten nur selten erreichen. Die Einnahmen kamen großenteils durchs Fernsehen – von Übertragungsgeldern aus vier Uefacup-Heimspielen und DFB-Pokal. Erstaunlich ist indes, dass die nationalen Pokaleinnahmen (Heimspiele gegen Bayern und Mönchengladbach plus Pokalfinale) die angeblich so lukrativen Europacupspiele (2,2 Mio) deutlich übertrafen. Aber, bemerkte Geschäftsführer Bernd Maas süffisant, Alemannia habe mit dem Uefacup bei gleich vielen Spielen mehr Geld eingenommen als Schalke oder Stuttgart. „Da haben wir wohl was richtig gemacht.“
Der Liga-Boom tat das Seine: 11.500 Dauerkarten zuletzt, das Stadion zu fast 90 Prozent voll, Steigerung beim Fanartikel-Verkauf mit „spektakulären Umsätzen“ von 1,7 Millionen Euro um Faktor vier gegenüber 2003 und weit mehr gegenüber früheren Zeiten, als alle paar Tage mal ein Trikot über den Fanshoptresen ging. Gesamterlöse in 2004: 22,6 Millionen Euro – „das sind für 2. Liga unbekannte Höhen“. Horst Heinrichs, der Präsident des Nichtaufsteigers, spricht vom „Meisterstück der Alemannia“.
Vize Carlo Soiron sagt: „Ich kenne kein Unternehmen mit diesem Umsatz, das als Verein organisiert ist.“ Und so will man die Lizenzspielerabteilung ausgliedern und als Kapitalgesellschaft organisieren. Das ist im streng konservativen Umfeld, wo die alten Zeiten nie enden dürfen, noch schwer umstritten. Im Fan-Chat erklärt man sich derzeit, was eine KGaA ist, und ein Leserbriefschreiber unkt: „Ich appelliere eindringlich, von solchen Dingen die Finger zu lassen“ – man müsse nur nach Dortmund sehen zu den schwarz-gelben Kollegen und deren „finanzielle Pleite“. Manche argwöhnen auch, die Vereinschefs wollten sich ab sofort Gehälter zahlen. Soiron stellt klar: „Es geht weiter als Ehrenamtliche, aber ich will nicht mehr mit Haus und Hof haften, wenn etwas schief geht.“
Vor drei Jahren hing alles bei der Alemannia am seidenen Faden. Die Spieler sind mit Sammelbüchse durch die Stadt gelaufen, Rentner spendeten Sparcents, die Stadt stundete in letzter Minute eine 150.000-Euro-Forderung. Nun sind alle Altschulden abgebaut, die Stadt kassierte zuletzt 580.000 Euro Gewerbesteuer. Geschäftsführer Bernd Maas sagt: „Wir fangen wieder bei Null an.“