Ein Nachmittag im Orient

Ähnlich wie den Katholiken nach der Reformation ergeht es heute Hamburgs Muslimen. Spröde Zweckbauten des Stadtteils St. Georg beherbergen ihre Gebetshäuser – und der Muezzin ruft im Treppenhaus

von Jan Kahlcke

An den Kirchen führt einfach kein Weg vorbei, auch nicht auf einem Rundgang durch das islamische Hamburg. Schließlich haben sie all das, wovon Muslime in Deutschland träumen: Staatsvertrag, Kirchensteuern und repräsentative Gotteshäuser. Die barocke Dreieinigkeitskirche immerhin steht auch Muslimen offen: „Für die Gemeinde hört Ökumene nicht bei den katholischen Brüdern und Schwestern auf“, sagt Islamwissenschaftler Achim Rohde. „Hier werden gemeinsame Gottesdienste und Stadtteilfeste mit Moscheegemeinden gefeiert.“

Der 36-Jährige Doktorand bietet den Rundgang seit den Anschlägen des 11. September an. Plötzlich gab es so viele Fragen über die fremden Nachbarn. An diesem lauen Frühlingstag sind über 20 Menschen gekommen. Wir gehen weiter rein in den Stadtteil St. Georg, vorbei am ohrenbetäubenden Hochzeitsgeläut des katholischen Mariendoms.

In gebührendem Abstand erinnert Rohde daran, dass es den Katholiken in Hamburg nach der Reformation ähnlich erging wie den Muslimen heute: Wer nach 1530 noch dem alten Glauben anhing, musste außerhalb der schützenden Stadtmauern wohnen und seine Kirche bauen. Seitdem haben sich in St. Georg immer wieder religiöse Minderheiten konzentriert, von christlichen Abweichlern bis zu den Muslimen heute.

Zehn der 50 Hamburger Moscheen finden sich zwischen Hauptbahnhof und Sechslingspforte. Für uns ein Glücksfall. Einige fragen schon ungeduldig, wann wir endlich die erste sehen werden.

Allmählich tasten wir uns heran. Auf der anderen Straßenseite liegen persische Restaurants. Die Iraner sind die islamische Bevölkerungsgruppe mit der längsten Tradition in Hamburg: Schon um 1780 ließen sich die ersten Teppichhändler in der Hansestadt nieder. Sie bekamen bisher auch als Einzige die Genehmigung, eine frei stehende Moschee zu errichten – allerdings im vornehmen Harvestehude. Wir müssen uns deshalb mit einem Foto des prächtigen Baus begnügen, der heute als Außenposten der schiitischen Mullahs gilt. Dazu erklärt unser Stadtführer, dass die Spaltung in Schiiten und Sunniten in einem – durchaus weltlichen – Erbfolgestreit gründet.

Richtung Orient geht es jetzt immer der Nase nach: An der Ecke Brennerstraße liegt eine syrische Zuckerbäckerei. Schon auf dem Bürgersteig duftet es derart betörend nach Mandelöl und Rosenwasser, dass die Konzentration schwer fällt. Für das muslimische Zuckerfest reicht das Vorstellungsvermögen in der aromaschwangeren Luft gerade noch. Aber bei der Anekdote, wie Mohammed den Abrahams-Mythos kurzerhand nach Mekka verlegte, wird es schon schwieriger. Offenbar haben Christen und Muslime eine Menge Gemeinsamkeiten – und die größte scheint in diesem Moment die Schwäche für die unglaublich zarten, süßen Häppchen zu sein, die auf riesigen Blechen in akkuraten Reihen liegen.

Ein paar Damen stehlen sich davon und kaufen Proviant, für einen Tee haben wir keine Zeit. Islam ist Frauensache – zumindest bei den Deutschen. Gerade vier Männer hat es auf den Ausflug ins islamische Hamburg gezogen. Das Gros sind Frauen in den mittleren Jahren. Sie tragen windfeste Frisuren und bequeme Schuhe, was sie als erfahrene Stadtwanderinnen ausweist. Aber der nächste Programmpunkt ist was für Männer: Auf dem berüchtigten Hansaplatz, bei dem alle nur an zerstochene Venen und Triebabfuhr denken, wird unsere Aufmerksamkeit auf einen unscheinbaren Barbierladen gelenkt. Einwandererkultur, wie wir sie gern haben, ein Stück vor 100 Jahren verlorener Geschichte. „Wellness für den Mann“, sagt Rohde.

Nicht so gern haben wir Kopftücher. Rohde empfiehlt, das Thema nicht zu hoch zu hängen – nicht unter jedem Kopftuch stecke eine unterdrückte Frau, argumentiert er. „Aber es gibt im Islam doch große Unterschiede zwischen Mann und Frau“, wendet eine junge Teilnehmerin ein. Beim Stichwort Kopftuch schlagen die Emotionen wie überall hoch, ist die Debatte über Geschlechtertrennung, Gleichheit und Gleichberechtigung in Nullkommanichts im Gange.

Soll keiner glauben, in St. Georg liefe immer alles konfliktfrei ab. Aber es ist schon viel besser geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Bestes Beispiel ist das islamische Beerdigungsinstitut am Pulverteich, Tür an Tür mit einem Schwulen-Pornokino. „Weit gehend geräuschlos“ nennt Rohde das Nebeneinander der Subkulturen und lobt schmunzelnd die „ungeplante Integrationskraft der Städte.“

Eine Ecke weiter ist die Geduldsprobe zu Ende: Endlich, die erste Moschee! Aber man sieht nur ein schmuddlig-graues Bürogebäude aus den siebziger Jahren. „Da drin sind sogar drei Moscheen übereinander“, sagt Rohde. Ganz unten eine palästinensisch-libanesische, darüber eine bosnisch-albanische und im zweiten Stock eine pakistanische. Das schmucklose Äußere ist durchaus typisch für Hamburgs Moscheen. Reisebüro und Gemüseladen sind in islamischer Hand, von den Balkons blicken Frauen mit Kopftüchern und viele kleine Kinder. Auf der Straße lehnen junge Männer an dicken Karossen. Ein Geistlicher im langen, weißen Gewand schreitet vorbei.

Deutsche verirren sich kaum hierher und in der Gruppe macht sich eine Spur Unbehagen breit. Ist sie das, die berühmt-berüchtigte Parallelgesellschaft? Rohde sieht es nicht so dramatisch: „Die Moscheen greifen nun mal Bedarfe auf, die andere Institutionen über Jahrzehnte vernachlässigt haben“, sagt er. Rechtsberatung, Sozialberatung, Hausaufgabenhilfe – und Sprachkurse, die gehören auch dazu.

Wir werden eine Straße weiter erwartet. Die „Zentrums-Moschee“ ist nicht unumstritten – sie gehört zum Gemeindeverband Milli Görüs, dem der Verfassungsschutz vorwirft, einen politischen Islam zu predigen. Aber dafür ist sie eine der schönsten Moscheen der Stadt und hat sich der Öffnung nach außen verschrieben. Verantwortlich dafür ist Tamer Çoban, ein gut gelaunter Deutschtürke aus Bremen, bei dem der obligatorische Schnauzer der Gastarbeitergeneration zu einer Andeutung geschrumpft ist. Zögerlich, als würde eine unsichtbare Schwelle den Zutritt zur Moschee verwehren, folgt die Gruppe ihm. Als es im Erdgeschoss durch Buchladen und Restaurant geht, ist fast Erleichterung zu spüren. Aber auch im Gebetssaal stören wir offensichtlich nicht. Einzige Regel: Schuhe aus!

Çoban legt los mit einem Schnellreferat über 40 Jahre Einwanderungsgeschichte. Das alte Hammonia-Bad in der Böckmannstraße sei der ideale Standort für die Moschee gewesen, scherzt er, weil viele Türken es schon vom Duschen kannten. Heute sind die Sanitärfliesen bunt gemusterten Kacheln gewichen, wie in einer „richtigen“ Moschee – auch wenn es kein Minarett gibt, von dem der Muezzin zum Gebet rufen könnte. Aber das wäre auch gar nicht erlaubt – Lärmbelästigung!

Stattdessen ruft er einfach ins Treppenhaus. Als der Imam mit der Koran-Rezitation beginnt, schließen auch ein paar der deutschen Besucher die Augen und lassen sich von der meditativen Wirkung des arabischen Gesangs mittragen.

Bis zur Abschlussdiskussion im Moscheerestaurant haben nur Wenige durchgehalten. Unter dem goldfarbenen Baldachin steht Çoban Rede und Antwort – über Haushaltspflichten der Männer, den Fehler Zwangsheirat und darüber, warum Frauen keine Vorbeterinnen sein dürfen, auch wenn sie Theologie studiert haben. Natürlich kommt auch die moderne Gretchenfrage für Muslime: „Wie haben Sie sich zum 11. September verhalten?“, möchte eine Besucherin wissen. „Wir haben das damals sofort verurteilt“, sagt Çoban, „genauso wie den 11. März in Madrid oder die Geiselnahme von Beslan.“ Aber das sei eben keine Schlagzeile wert, fügt er fast ein wenig resigniert hinzu.

Bestimmt gebe es auch in seiner Moschee Radikale. „Wenn wir sie erkennen, geben wir sie nicht auf“, erklärt der Sozialarbeiter die Strategie der Gemeinde. Immer wieder gelinge es, den einen oder anderen von der Gewaltlosigkeit zu überzeugen. „Sonst sähe es hier schon ganz anders aus.“

Die Rundgänge werden angeboten von Stattreisen e.V. (040) 430 34 81 am 18.6., 3.9., 1.10., jeweils 15 Uhr und von der Neuen Gesellschaft (040) 44 75 25 am 23.6. und 6.9., jeweils 16.45 Uhr. Termine für Gruppen nach Vereinbarung Weitere Infos www.stattreisen-hamburg.de und www.die-neue-gesellschaft.de