Ausdeuten des Innenraums

SPIEGELKUNST Die Zeichnungen von Josef Hofer in der Galerie Art Cru zeigen schwerelose Körper und fragile Liniengespinste

Josef Hofer hat sich selbst gezeichnet. Im Spiegel betrachtet und in Ausschnitten erfasst, mal den ganzen Körper, mal vom Kopf bis zum Gesäß, mal fokussiert auf das Geschlecht. Der Rahmen des Spiegels ist immer breit, aus vielen Lagen von exakt mit dem Lineal gezogenen Linien gestaltet, mit gelben, roten und orangen Farben gefüllt. Einmal nimmt der Rahmen das Aussehen eines Schachts an, man könnte meinen, in die Tiefe zu blicken und auf dem Grund des Schachtes Josef Hofer zusammengerollt in seinem Bett liegen zu sehen. Der Körper, nur von Konturen gestaltet, wirkt dabei nicht schwer. Wie auf fast allen Zeichnungen Hofers bleibt er ein fragiles Liniengespinst, durch das alles hindurchgehen kann: das Licht, die Stille, die Luft.

Fragiles Liniengespinst

Josef Hofer, 1945 in einem bayerischen Dorf geboren, war von Geburt an beinahe gehörlos und geistig behindert. Zusammen mit einem Bruder lebte er jahrzehntelang äußerst isoliert auf dem Bauernhof der Mutter. Erst mit vierzig Jahren, so ist in seinen inzwischen zahlreichen Katalogen zu lesen, zog er zu seiner Cousine um und kam über eine Tageswerkstatt der Lebenshilfe in Oberösterreich unter Leute. Dort begann in einer Malgruppe die Entdeckung seiner Leidenschaft für das Zeichnen und die Förderung seines Talents. Seit 2000 hat er mehrfach an Gruppenausstellungen teilgenommen und auch Einzelausstellungen gehabt, unter anderem in der renommierten Collection de l’Art Brut in Lausanne.

In Berlin stellt ihn die Galerie Art Crut vor. Eine Texttafel informiert zwischen seinen Zeichnungen über seinen Lebenslauf. Schöne Fotos zeigen ihn bei der Arbeit, die alt gewordenen Hände, die Dosen voller Farbstifte, den Spiegel, den er vor zehn Jahren erhielt. Seitdem haben sich seine Kompositionen verändert, alles, was er zeichnet, ist nun vom Rahmen des Spiegels gefasst, er ist das Gegenüber und Modell geworden.

Natürlich beeinflusst das Wissen um Hofers Geschichte, was man in den Zeichnungen sieht. Das Eingekastelte und Eingekapselte erscheint einem sehr wahrscheinlich als eine Chiffre für die Erfahrung der Isolation. Aber dann lernt man, in der Handlung der Wiederholung, im immer wieder Ausdeuten dieses Innenraums, in der Entdeckung des eigenen Körpers, der sich manchmal partiell in den einer Frau verwandelt, auch das Zufriedene und Geborgene zu sehen.

Erfahrung der Isolation

Einige der Körperschemen erinnern in ihren Verschiebungen der Glieder an die expressionistischen Bilder von Egon Schiele, nicht zuletzt auch durch die Kombination mit der ornamentalen Definierung der Flächen. Die meisten aber lassen die naive Handschrift erkennen, die sich kaum an anderer Kunst orientiert.

Alexandra von Gersdorff-Bultmann, die die Galerie Art Cru vor vier Jahren gegründet hat, blättert seufzend durch seine Kataloge und zeigt Bilder, die sie auch gern ausgestellt hätte: In denen ist das Flechtwerk der Linien dichter und farbiger. Allein, vieles befindet sich jetzt schon in privaten und öffentlichen Sammlungen.

Die Kunst von Außenseitern wie Hofer hat eine doppelte Geschichte. Sie ist einerseits seit den fünfziger Jahren eine wichtige Bezugsgröße in der Kunst selbst, seit Jean Dubuffet den Begriff Art Brut erfand. Dennoch war es in den achtziger Jahren, als Alexandra von Gersdorff-Bultmann als Ergotherapeutin an der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik arbeitete, nicht einfach, Künstler einzuladen, um mit den Patienten zu arbeiten. Vor fünfzehn Jahren gelang es ihr, ein Offenes Atelier am Hedwigs-Krankenhaus einzurichten. Die Eröffnung der Galerie Art Cru war der konsequente Schritt, um mehr für die Sichtbarkeit, Anerkennung und Aufbewahrung der Kunst der Außenseiter zu tun.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Josef Hofer, Galerie Art Cru, Di–Sa, 12–18 Uhr, bis 7. Juli