: Sanfte Töne statt Wahlkampfgetöse
Schröder und Merkel haben im Bundestag ihre Visionen zur Zukunft der EU dargelegt. Obwohl die Standpunkte durchaus unterschiedlich sind, verzichteten der Kanzler und die Kandidatin auf die befürchtete Wahlkampfrhetorik – ganz bewusst
AUS BERLIN BETTINA GAUS
In zahlreichen Medien war von einem bevorstehenden „Duell“ die Rede gewesen; viele Journalisten hatten einen scharfen Schlagabtausch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel erwartet. Aber es kam anders: Beide widerstanden gestern der Versuchung, ihre erste Begegnung im Bundestag seit der Kür von Merkel zur Kanzlerkandidatin als inoffiziellen Wahlkampfauftakt zu nutzen. Die Debatte über die Regierungserklärung zur Europapolitik verlief zwar kontrovers – aber eben auch sachlich.
Die unterschiedlichen Standpunkte wurden dennoch deutlich. Zwar betonten Redner aller Fraktionen, dass sie auch weiterhin zum EU-Verfassungsentwurf stünden. Aber Regierung und Opposition empfehlen unterschiedliche Reaktionen auf die Entwicklung innerhalb der Europäischen Union, die der Kanzler als „Krise“ bezeichnete.
Schröder sprach sich im Wesentlichen dafür aus, den einmal beschrittenen Weg weiterzugehen. „Der Verfassungsvertrag war richtig und ist richtig.“ Es sei falsch, den Staaten, die den Vertrag noch nicht ratifiziert hätten, jetzt zuzurufen, die Verfassung sei „tot“. Der Bundeskanzler warnte außerdem davor, Ländern wie Rumänien und Bulgarien zu sagen, die EU könne eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllen: die „sichere Konsequenz“ wäre die „Rückkehr in alte Nationalismen und mehr“.
Angela Merkel betonte hingegen, ein einfaches „Weiter so“ könne es nach dem ablehnenden Votum in Frankreich und den Niederlanden nicht geben. Dem weiteren Ratifizierungsprozess sei „aller Erfolg“ zu wünschen, aber man müsse auch Vorbereitungen für den Fall treffen, dass keine Einigung über die Verfassung zustande käme. Es sei notwendig, die „Sorgen und Ängste der Menschen“ aufzunehmen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt regte an, man solle sich über ein „schmaleres Verfassungswerk“ Gedanken machen, falls der vorliegende Text keine Zustimmung finde.
Angela Merkel sieht einen Hauptgrund für wachsende Europaskepsis darin, dass große Teile der Bevölkerung den Eindruck hätten, es gebe ein „grenzenloses Europa“. Sie forderte einen „Stopp der inneren Überdehnung“. Notwendig sei ein Abbau der Bürokratie und eine Grundsatzdiskussion über die Frage der „politischen Selbstbeschränkung“ von Europa.
Erwartungsgemäß wurden die unterschiedlichen Positionen besonders deutlich beim Thema Türkei. Merkel sprach sich ein weiteres Mal gegen eine Vollmitgliedschaft des Landes in der EU aus, Schröder warb erneut für das bestehende Verhandlungskonzept. Wer jetzt meine, „mit Kleinmut und Wegducken die Probleme lösen zu können“, der begehe einen Fehler, den noch „Kinder und Kindeskinder“ den heute Verantwortlichen vorwerfen würden.
Im Zusammenhang mit dem EU-Finanzstreit zeigte sich der Kanzler vor seiner Abreise zum Brüsseler Gipfel kompromissbereit: „Ich fahre da heute einigungsbereit hin. Deutschland wird sich bewegen.“ Auch bei diesem Thema blieb der Ton der Debatte moderat.
Regierungschef und Oppositionsführerin hatten für ihre Zurückhaltung gute Gründe. Gerhard Schröder wäre unklug gewesen, hätte er sich ausgerechnet im Zusammenhang mit einem außenpolitischen Thema, bei dem der Amtsbonus besonders groß ist, in die Niederungen der Innenpolitik begeben. Angela Merkel hat kein Interesse daran, um des kurzfristigen rhetorischen Erfolges willen ihre mögliche Kanzlerschaft mit einer Hypothek zu belasten, die ihren Stand innerhalb der EU erschweren könnte.