: Homos als Staatsfeinde
Der Weg in die nationalsozialistische Verfolgung: Ein Sammelband zeigt die Verknüpfungen von Homosexualität und Politik
Adolf Hitler war ein Homo – ein Gerücht, das bereits zu Lebzeiten des Führers kursierte und zuletzt durch die 2001 von Lothar Machtan veröffentlichte Studie „Hitlers Geheimnis“ mehr öffentlichkeitswirksam als stichhaltig verbreitet wurde. Machtans Thesen fanden ihren Weg auf die Titelseite der Bild-Zeitung. „Totalitarismus und Homosexualität“ gehören zusammen, so hatte einst Adorno formuliert. Ein Diktum, das sich gerade in linken Kreisen hartnäckig hält – Elfriede Jelinek lässt grüßen –, auch weil die von psychoanalytischen Ansätzen beeinflussten linken Faschismustheorien von Wilhelm Reich bis Klaus Theweleit sich als äußerst wirkmächtig erwiesen und in die 90er-Jahre keiner historischen Überprüfung standhalten mussten.
Der von der Berliner Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Susanne zur Nieden herausgegebene Sammelband „Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit und Homophobie in Deutschland 1900–1945“ versucht in zahlreichen fundierten Beiträgen, die Wurzeln dieser „diskursiven Verknüpfung“ von Sexualität und Politik offen zu legen: jener in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von links bis rechts verbreiteten Vorstellung, dass der Staat in seinen verborgenen Bewegungsgesetzen durch männliche Homosexualität geprägt wie bedroht wurde.
Der Band schlägt einen Bogen von den Debatten um Homosexualität, Männlichkeit und Staat im Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus, der die „homosexuelle Seuche“ glaubte „ausmerzen“ zu müssen, auch weil man den diesbezüglichen Anwürfen des Gegners etwas entgegensetzen wollte – mit mörderischen Folgen, die weit über die machtstrategisch motivierte Beseitigung der SA-Spitze um den homosexuellen Ernst Röhm hinausgingen.
Nicht nur aus argumentativen Gründen ist dabei auch eine kleine Entstehungsgeschichte des „modernen Homosexuellen“ herausgekommen, einer eigenen „Spezies“ (Foucault), geformt aus wissenschaftlichen, juristischen und künstlerischen Fremd- und Eigendiskursen (Hirschfeld, Brand), Ergebnis und Stütze einer zugleich wissenschaftlich festgeschriebenen und von Erosion bedrohten Geschlechterpolarität: Was ist ein Mann, und was ist eine Frau?
Während der Berliner Arzt Magnus Hirschfeld von der Jahrhundertwende an für die Abschaffung des Paragrafen 175 kämpfte, wurden die „Urninge“ im Zuge der Eulenburg-Moltke-Affäre in das grelle Licht der Boulevardpresse gezerrt: Kaiser Wilhelm umgeben von einer adligen Homokamarilla? Ein gefundenes Fressen für auf Emanzipation bedachte Bürger wie auch für Arbeiter – und eine Belastung für die sich emanzipierenden Homosexuellen. Der Skandal um den italienische Knaben favorisierenden Stahlbaron Alfried Krupp tat ein Übriges, nun hatte auch Deutschland seinen spektakulären Wilde-Prozess. „Sex-and-Crime-Geschichten“ (zur Nieden) verdrängten immer mehr bürgerrechtliche Anliegen.
Es ist ein weiteres Verdienst dieses Bandes, auf die historische Bedeutung des Schriftstellers Hans Blüher hinzuweisen, dessen zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenes (Mach-)Werk „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“ dereinst nicht nur sinnstiftend für die deutsche Jugendbewegung war, sondern in mehrfacher Hinsicht auch für den Nationalsozialismus. Blüher hatte in seiner Abhandlung einen durch das Führerprinzip organisierten und männerbündisch zusammengehaltenen Staat propagiert, dessen innerste Triebkraft die mannmännliche Erotik bilden sollte. Sein Text bildete nicht nur eine entscheidende Grundlage für die Konzeption des NS-Männerbund-Staates unter expliziter Ausklammerung der von Blüher unterstellten und von Heinrich Himmler gefürchteten erotisch-sexuellen Bindekraft, sondern wurde auch von den Gegnern und Analytikern dieses Systems für bare Münze genommen.
Ein äußerst lesenswerter Beitrag des Amsterdamer Historikers Harry Osterhuis über Politik und Homoerotik in Leben und Werk von Thomas und Klaus Mann illustriert die tragischen Auswirkungen dieser zeitgenössischen Verknüpfung von Barbarei und Homosexualität. Osterhuis stellt die (steile) These auf, dass beide Manns aufgrund des von ihnen angenommenen inneren Zusammenhangs zwischen Auschwitz und ihren sexuellen Vorlieben keine positive homosexuelle Identität entwickeln konnten. MARTIN REICHERT
Susanne zur Nieden (Hg.): „Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945“. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, 308 Seiten, 24,90 Euro