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Archiv-Artikel

Ein Funke Hoffnung im Haus der Farben

SOZIAL Rudolf Steiner plus Bandadas Criminales? In lateinamerikanischen Favelas kann das durchaus eine produktive Mischung ergeben – etwa im „Centro educativo y social Waldorf“ von Bogotá

Waldorfpädagogik steht im Verruf, sich nur an Sprösslinge gut betuchter Familien zu richten. Kenner der Materie verweisen dagegen gerne auf die erste Waldorfschule überhaupt, die in den zwanziger Jahren in Stuttgart für die Arbeiterkinder der Zigarettenfabrik „Waldorf-Astoria“ gegründet wurde. Doch auch heutzutage zeigen Schulprojekte in aller Welt, was die von Rudolf Steiner inspirierte Pädagogik an sozialen Brennpunkten leisten kann. Manchmal sogar mitten in den Favelas lateinamerikanischer Millionenstädte. So etwa das „Centro educativo y social Waldorf“ (CES) im Barrio Sierra Morena, einem Vorort von Bogotá. Angesichts von alltäglicher Gewalt suchten hier am gebirgigen Stadtrand viele sozial schwache Menschen Zuflucht. Doch auch im Viertel der Armen sorgen paramilitärische „bandadas criminales“ für Angst und Schrecken.

Bildung, Beratung und Gesundheitsdienst

Dem problematischen Umfeld trotzt seit 2002 das CES und bietet einen Kindergarten, familiäre Beratung, ein Schulprogramm an Nachmittagen sowie medizinische Versorgung an. „Lehrer und Sozialarbeiter von CES Waldorf versuchen täglich mit unglaublicher Sensibilität, Taktgefühl, mit Geduld, Verbindlichkeit und Liebe für die Kinder das zu tun, was der Staat nicht tut“, berichtet Olivia Girard von der gemeinnützigen Organisation „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“, die das Projekt mit Spenden unterstützt.

Auf Kleinstgrundstücken in Hanglage konnte ein Haus gebaut werden, das den Kindergarten, Nachmittagsschule und die Sozialstation beherbergt. Von den Bewohnern wird es liebevoll das „Haus der Farben“ genannt. „Neben der Hausaufgabenbetreuung und den künstlerischen Fächern wie Handarbeit, Schreinern, Steinhauen und Plastizieren gibt es Musik“, so Girard. Die Kombination von Pädagogik und Sozialarbeit erleichtert dabei die Arbeit der Helfer vor Ort: „Durch regelmäßige Hausbesuche kennen sie die Verhältnisse von jedem ihrer Kinder zu Hause. Sie helfen bei allem, auch bei rechtlichen Fragen. Oft sind die Menschen ausgeliefert und wissen nicht, dass sie Anspruch auf Rechte haben“, weiß Girard.

Wichtig ist auch die medizinische Versorgung. Mangelernährung lässt die Kinder in den Barrios langsamer wachsen, sie leiden oft an Atemwegserkrankungen. 300 Kinder werden normalerweise pro Jahr durch das CES betreut, doch seit der Wirtschaftskrise ist der Umfang zurückgegangen. Umso mehr sind die Aktiven vor Ort auf Spenden aus Deutschland und anderswo angewiesen, damit sie weiter Hilfe zur Selbsthilfe leisten können. „Die Sozialarbeiter aus CES Waldorf wollen und können keine Lösung anbieten, sondern sie zeigen Wege – und jede Familie muss selbst entscheiden, ob sie einen dieser Wege gehen möchte“, so Girard. ANSGAR WARNER